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In den besten Händen

Frankreich 2021 (La Fracture) Regie: Catherine Corsini, mit Valeria Bruni Tedeschi, Marina Foïs, Pio Marmaï, 99 Min., FSK: ab 12

Die französische Präsidentschafts-Wahl zwischen Amtsinhaber Emmanuel Macron und der Ultrarechten Marine Le Pen auf den Punkt gebracht als Wortgefecht und Schlägerei zwischen einer arrivierten linken Comiczeichnerin und einem rechten LKW-Fahrer in prekären Verhältnissen. Auf diesen Kulminationspunkt steuert „In den besten Händen“ hin, diese geniale Mischung aus Beziehungskomödie und Sozialdrama (oder umgekehrt).

Die arrivierte Comiczeichnerin Raphaela (Valeria Bruni Tedeschi) ist wegen der angekündigten Trennung von ihrer Verlegerin und Partnerin Julie (Marina Foïs) in höchster Panik. Zig immer heftiger beleidigende SMS gehen stündlich raus, dabei liegt Julie schlafend neben ihr. Ihre Dialoge wirken wie Tourette-Syndrom, wie die zukünftige Ex-Partnerin bemerkt. Beim blöden Hinterherlaufen bricht sich die Verlassene den Arm.

Gleichzeitig marschieren die Gelbwesten auf den Champs Élysées gegen Macron auf, zünden Autos an, bilden Barrikaden und werden konfrontiert mit brutalen Polizeitruppen. Der LKW-Fahrer Yann (Pio Marmaï) wird schließlich mit Kriegsverletzungen vom Polizei-Einsatz eingeliefert. Immer noch voller Wut randaliert er im sowieso schon geladenen Wartezimmer. Geladen, wie völlig überfüllt und in angespanntester Stimmung.

Hier schwenkt der Film rasant vom komischen-hysterischen Beziehungsdrama zum erschreckenden Protokoll eines völlig überforderten Gesundheitssystems. Die Krankenhaus-Belegschaft arbeitet aufopferungsvoll am Rande eines Nervenzusammenbruchs. Neuankömmlinge werden schnell mit Armbändchen nach Dringlichkeit sortiert: Rot für baldige Untersuchung, Orange muss etwas länger warten. Eine bescheidene Frau stellt ihre Schmerzen zurück. Später stellt sich heraus, dass sie dank der Polizei mehrere gebrochene Rippen und Blut in der Lunge hat. Dabei leidet das kleine Baby einer Schwester zuhause unter schwerem Fieber, wie in schnellen SMS verhandelt wird. Und auch Julie verfolgt die Nachrichten von den Straßenschlachten in großer Angst, weil ihr Sohn mitprotestieren wollte und sich nicht bei der überfürsorglichen Mutter meldet.

Operationen von gebrochenen Armen und das operative Entfernen von Splittern im Bein müssen verschoben werden. Womit wir wieder bei Raphaela und Yann wären. Im Wartezimmer brüllen sie sich an. Im Zwischenlager der Diele schlagen sie sich, was mit den jeweiligen Verletzungen ziemlich komisch aussieht. Ganz abgesehen davon, dass „Raf“ durch eine dreifache Ladung von Schmerzmitteln sowieso oft hysterisch lachen muss. Später liegen sie in Behandlungszimmern nebeneinander und kommen sich auch ansonsten näher. Denn es gibt viel Zeit für Erklärungen der Lebenssituationen und politischen Haltungen.

Yann lebt noch bei seiner Mutter. Trotz der Gefahr, sein Bein zu verlieren, schleicht er sich später aus dem Krankenhaus. Er hat Angst, eine Fahrt und seinen Job zu verlieren. „Wir leben nicht, wir überleben“. Wütend wirft er Raf vor, Macron gewählt zu haben. Sie vermutet in dem einfachen Mann einen Wähler von Marine Le Pen, gegen die sie demonstriert hatte. Dabei sind sie sich ziemlich ähnlich, nicht nur im aufbrausenden Charakter. Auch Raphaela fürchtet um ihren Job, weil sie mit der linken Hand nicht so gut zeichnen kann.

Während in diesem Mikrokosmos der Notaufnahme, mit acht bis zehn Stunden Wartezeit, die gesellschaftliche Spaltung gespiegelt wird, schwappt die Gewalt des Protests mit Tränengas in das Wartezimmer. Obwohl von der Polizei verboten, nehmen die Ärzte Demonstranten auf. Und geben ihre Namen nicht wie angeordnet preis.

Regisseurin Catherine Corsini blickt nach ihren beiden sehr emotionalen Filmen „La belle saison – Eine Sommerliebe“ (2015 mit Cécile de France und Noémie Lvovsky) und „Die Affäre“ (2009 mit Kristin Scott Thomas) im irren und irrwitzigen Setting von „In besten Händen“ auf den aktuellen Zustand der französischen Gesellschaft. Das Duell Macron/Le Pen wiederholt sich an diesem Wochenende, die Risse im Land sind immer noch offene Wunden.

Ausgerechnet die großartige Darstellerin und Regisseurin Valeria Bruni Tedeschi spielt die bourgeoise Künstlerin, die sich einst engagiert hat. Tedeschi, Spross einer Turiner Industriellenfamilie, die vor den Roten Brigaden nach Frankreich fliehen musste, und wegen Schwesterlein Carla Bruni tatsächlich Schwägerin des ehemaligen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy, ist ein genialer Besetzungscoup. Selbstverständlich vom Können des französischen Stars mit viel komödiantischem Talent zum Gelingen des Films geführt. Eines außergewöhnlich unterhaltsamen und engagierten Films.


Ein FILMtabs.de Artikel