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Cannes-Kino hebt ab

Cannes. Noch bedeckt eine Schutzfolie den Roten Teppich, ein paar Ecken des schon recht alten Betonbunkers namens “Palais des Festivals” werden übertüncht. Am Tag vor Wong Kar-Wais “My Bleuberry Nights”, dem Eröffnungsfilm der 60. Internationalen Filmfestspiele von Cannes (16. – 27. Mai 2007) hat man noch Zeit zum Bummeln und Quatschen. Und als ob es um EINE Entscheidung ginge, schwebt eine Frage im Raum: Wird Cannes die 60. so sensationell wie das Programm erhoffen lässt: David Fincher (“Seven”), die Coen-Brüder (Cannes-Sieger mit “Barton Fink”, Kim Ki-Duk (“Samaria”), Gus van Sant (Goldene Palme mit “Elephant”), der Maler und Regisseur Julian Schnabel, Quentin Tarantino (palmiert mit “Palm Fiction”), Fatih Akin (Bären-Sieger mit “Gegen die Wand”), der elegische Russe Sokurov und der ausufernde Emir Kusturica (Palme mit “Underground”). Das war jetzt nicht die Gala-Gästeliste für die Jubiläumsfeier zur 60.Ausgabe des Filmfestivals von Cannes. Die moderiert am 20. Mai Alain Delon, der nach 15 Jahren wieder die Treppen zum Palast emporgejubelt werden wird. Das ist ein nicht ganz normaler Cannes-Wettbewerb, der extrem neugierig macht. Das größte Filmfestival der Welt übertrifft sich wieder einmal selbst.
Wer wird denn gleich in die Luft gehen
Aber bevor die Filme – oft als Weltpremiere – gelaufen sind, sollte man Bodenhaftung bewahren. Was nicht alle machen: Das sehr schöne Plakatmotiv zum 60. zeigt berühmte Schauspieler und Regisseure freudig schwebend. Zusammen mit der Agentur Magnum entwickelte man die Idee, die Kultserie “Jump” des Fotografen Philippe Halsman aufleben zu lassen. Schon 2006 sprangen 100 Künstler in Cannes vor der Kamera herum und sind jetzt in reizvoll grafisch gruppierten Ensembles – etwa mit Almodovar, Binoche, Cruz und Bruce Willis – auf vielen Postern zu sehen.
Frauen dürfen selbstverständlich auch abheben, obwohl sie traditionsgemäß bei den Filmemachern im Wettbewerb seltene Blüten sind: Nur drei Damen stehen 21 Herren gegenüber. Dafür darf dann das deutsche Schauspiel-Nichts Diane Krüger die Eröffnungszeremonie leiten. Spannender ist da schon der neue Wong Kar-Wai, der erste in Englisch gedrehte Film des eigensinnigen Perfektionisten aus Hongkong: Die Sängerin Norah Jones („Come away with me“) spielt darin Elizabeth, die nach einer harten Trennung quer durch die USA reist, um die wahre Tiefe von Einsamkeit und Leere zu erfahren. Ihren Weg als wandernde Kellnerin kreuzen andere sehnende Figuren, gespielt von schönen Menschen wie Jude Law und Rachel Weisz.
Der Moment kurz vor der Liebe ausgedehnt über ein ganzes Leben, oder zumindest einen schönen langen Film, mit möglichst vielen kulinarischen Szenen … das ist Wong Kar-Wai, das ist „In the mood for love“. Nur diesmal sind es nicht dampfende Nudelküchen, in denen sich erst Blicke, dann Sehnsüchte und Säume wunderbarer Stoffe streifen.
Die Jazz-Country-Sängerin Norah Jones hat nicht die Eleganz von Gong Li, der Göttin aus Wong Kar-Wais asiatischen Filmen. Doch der Seitenwechsel tut Wong Kar-Wai gut: Man erfreut sich an vielen bekannten Stilen, erlebt aber auch ganz neu dynamische Montagen, etwas schnellere Zeitlupen. Das gilt für Bild und Ton, den kreisenden Melodien von „Mood“ gesellen sich Jones-Akkorde hinzu.
“My Blueberry Nights“ ist endlich mal ein richtiger Eröffnungsfilm – nicht eine Werbeveranstaltung für Hollywood (2006: “DaVinci Code”) oder zu oft für einer eher großen als guten französischen Film. Man könnte Wong Kar-Wai auch schon die Goldene Palme geben für sein großartiges Gefühlskino mit den wunderbaren Bildern.
Nach den Eröffnungsfeierlichkeiten sollte man sich wappnen, denn schon Donnerstag nimmt David Fincher, der Regisseur von “Seven”, “Fight Club” und “Panic Room” die Aufmerksamkeit mit einer bösen Geschichte in Beschlag: “Zodiac” erzählt von einem echten Serienkiller, der mit verschlüsselten Botschaften narrte und bis heute nicht gefasst ist.
Man fragt sich wirklich besorgt, wie eine so heterogene Jury, die mit dem sozialkritischen Briten Stephen Frears, dem türkischen Schriftsteller Orhan Pamuk, der Hongkong-Schauspielerin Maggie Cheung, der französischen Darstellerlegende Michel Piccoli und der jungen kanadischen Schauspielerin Sarah Polley besetzt ist, da zu einem Urteil finden soll.
Letztes Jahr war Fatih Akin übrigens in der internationalen Jury, jetzt läuft sein neuer Film “Auf der anderen Seite” im Wettbewerb. Er wurde mitfinanziert aus Mitteln der Filmstiftung NRW, die sich im letzten Jahr mit der Förderung von Ken Loachs “The Wind that shakes the Barley” ein Blättchen von der Goldenen Palme verdiente. Insgesamt sind drei “NRW-Filme” an der Croisette zu sehen: Fatih Akins deutsch-türkische Koproduktion im Wettbewerb, Roy Anderssons (“Songs from the Second Floor”) “You The Living” in der Reihe “Un Certain Regard” und Jan Bonnys Debütfilm “Gegenüber” bei den jugendlicheren “Quinzaine des Réalisateurs”. wurde „Gegenüber” Ende letzten Jahres komplett in Essen gedreht. Deutscher Produzent der burlesken Komödie über die Unwägbarkeiten des menschlichen Daseins ist die Thermidor Filmproduktion/Köln.


Ein FILMtabs.de Artikel