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Warten auf Bojangles

Frankreich, Belgien 2021 (En attendant Bojangles) Regie: Régis Roinsard, mit Virginie Efira, Romain Duris, Grégory Gadebois, 125 Min., FSK: ab 12

Der Beginn dieser Liebe ist wie im Film: Er tischt auf einem Empfang für erfolgreiche Unternehmer in den 50er Jahren an der Cote d’ Azur gleich mehrere Lügen-Geschichten in verschiedenen Dialekten auf. Unter anderem gibt er sich als rumänischer Nachfahre von Dracula und als Sohn eines Detroiter Automobilgiganten aus. Sie tanzt derweil gedankenverloren für sich allein, bis sie seine Einladung zu Flirt annimmt – weil seine Frisur der eines preußischen Generals auf einem Gemälde bei ihr zu Hause ähnelt! Als er schließlich auffliegt, stürzt sie sich ins Meer und er hinterher.

Die gemeinsame Flucht endet auf dem Traualtar, für eine Heirat und die folgende Liebesnacht. Doch Camille (Virginie Efira) weiß, dass Männer schnell den Spaß an ihren Kapriolen verlieren. Georges (Romain Duris) braucht sein unwiderstehlich charmantes Lächeln und das Blitzen seiner Augen, um die verrückte Frau zu einer Beziehung zu überzeugen.

Jahre später haben Camille und George einen Sohn, leben aber immer noch völlig ungebunden vom Gewöhnlichen. Für dies Familienleben wird der junge Gary (Solan Machado-Graner) schon mal in der Schule verprügelt: Seine Mitschüler halten ihn für ein Lügner und Angeber, wenn er von seinem afrikanischen Reiher „Mademoiselle Redundanz“ und vom Berg ungeöffneter Briefe erzählt. Die Fouquets feiern lieber Partys, als die Miete zu bezahlen. Aber die Vermieterin tanzt letztendlich auch mit.

Nach exakt der Hälfte des Films können der große und der kleine Mann der exzentrischen Camille nicht mehr verhindern, dass alles in eine Tragödie umkippt und die manisch-depressive Frau in eine monströse psychiatrische Einrichtung eingewiesen wird. Wieder hilft allein eine weitere Flucht aus der Realität: Gemäß der französischen Redensart für Luftschlösser, „ein Schloss in Spanien“, flieht die Familie nach Spanien und veranstaltet ein rauschendes Flamenco-Fest zur Heilung.

„Warten auf Bojangles“ weigert sich durchgehend, Krankengeschichte zu sein, und feiert das rauschende Film-Fest eines verrückten Lebens jenseits der bürgerlichen Regeln. Wie Camille einmal sagt: „Wenn die Realität banal und trist ist, erfinde dann eine schöne Geschichte für mich!“ Es gibt in dem lustvoll gespielten und reich historisch ausgestatteten wie kostümierten Film einige Momente des „Das geht doch gar nicht!“ Den Sohn betrunken machen, bevor die Mutter zusammen aus der Psychiatrie entführt wird? Heimunterricht bei zwei selbst keineswegs erwachsenen Eltern? Aber der Einspruch würde den Spaß an dieser schönen Tragikomödie verderben.

Auch wenn auf den Plakaten Schauspielstar Virginie Efira („Benedetta“, „Ein Becken voller Männer“) oben steht, die alle Gefühlslagen sehr eindringlich spielt, „Warten auf Bojangles“ ist ihrem Partner Romain Duris („Eiffel in Love“, „Beziehungsweise New York“) wie auf den Leib geschrieben. Er wurde 1997 als „Gadjo Dilo – Geliebter Fremder“ in Tony Gatlifs Musikfilm bekannt und neben seiner Reifung in der Filmreihe zu „L’auberge espagnole“ (2002) glänzte er in Michel Gondrys „Der Schaum der Tage“ (2013) nach Boris Vians tieftraurigem Roman. Auch stilistisch ähnelt der Film um den eigentlich herzzerreißenden Titelsong „Mr. Bojangles“ dem depressiven Klassiker. Bis zum Ende sich alles in Tränen und Wasser auflöst.


Ein FILMtabs.de Artikel