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Der perfekte Chef

Spanien 2021 (El Buen Patrón) Regie: Fernando León de Aranoa, mit Javier Bardem, Manolo Solo, Almudena Amor, 120 Min., FSK: ab 12

In der Villa des Firmen-Chefs Julio Blanco (Javier Bardem) sticht an der Trophäenwand ein leerer Fleck deutlich beleuchtet hervor. Den „Oscar der Waagen“ hat der joviale Patriarch der Waagen-Firma schon. Nun soll diese Woche die nächste Auszeichnung folgen: der Preis der Regierung für exzellente Unternehmensführung. Der nicht nur Ehre, sondern auch weitere Förderung der Region einbringt. Leider kommt ausgerechnet in dieser Woche die ausgewogene Harmonie in der Unternehmensführung, auf die Blanco so viel Wert legt, aus der Balance. Ein entlassener Mitarbeiter protestiert einfallsreich, der alte Abteilungs-Chef dreht langsam durch, die neue Praktikantin spielt ihr eigenes erotisches Spiel. Und auch Blanco selbst hilft mit, damit alles schiefgeht.

Bei seiner dritten Zusammenarbeit mit Javier Bardem, macht Regisseur Fernando León de Aranoa in einer neuen gesellschafts-politischen Satire direkt die Scheinheiligkeit seines Helden klar: Während der huldvollen Aufmunterungsrede an die Belegschaft („eine große Familie“) mit rührenden Floskeln liegt das wahre Gefühl im Nebenraum, wo ein entlassener Büroarbeiter mit seinen jammernden Kindern für Drama sorgt. Das Tränchen, das Blanco bei der Übergabe von Schmuck für Praktikantinnen zerdrückt, lässt sich so als Schmierentheater erahnen.

Eine Weile kann der Mann im biederen Anzug seine Sorgen und die seiner Mitarbeiter noch jonglierend in der Luft halten. Der deprimierte Produktionsleiter und Freund aus der Jugend verpennt ganze Lieferungen, weil zuhause seine Frau „mehr Luft“ will. Dass dieser typisch bigott reagiert, also als eifersüchtiger Mann, der selbst eine Affäre hatte, erfahren wir mit Blanco erst später. Ebenso komisch ist die Entdeckung, wer der Nebenbuhler ist.

Das Kunststück von „Der perfekte Chef“ liegt im beiläufigen Ton – sowohl der demaskierenden Anklage als auch des Humors. Plakativ ist hier nur der entlassene Angestellte, der gegenüber der Fabrik kampiert und Blanco mit seinen Parolen langsam zur Verzweiflung treibt. Der Pförtner – noch so eine wunderbare Figur in der Tradition von Blake Edwards – sympathisiert heimlich mit dem Protestierenden und schreibt sogar Slogans für ihn. Der Film ist voller kleiner Entscheidungen und ihrer Folgen: Selbstverständlich darf der widerspenstige Demonstrant, der sich längst nicht mehr kaufen lässt, nicht die Firmen-Toilette benutzen, entscheidet der Chef! Bis eine Schale der Werbe-Waage am Portal, die nie ganz ins Gleichgewicht zu bekommen war, mit Kot gefüllt ist und Blanco hineingreift.

Es ist köstlich, wie der Pate des Kapitalismus gönnerhaft einem alten Dreher seines Betriebes hilft und dabei vielfach als freundlich grinsender Elefant im moralischen Porzellanladen agiert: Zuerst holt er den Sohn des Drehers aus dem Gefängnis, nachdem der mit seinen Kumpels nordafrikanische Einwanderer brutal zusammengeschlagen hat. Die „zweite Chance“ für den tumben rechten Schläger soll der dann vor dem exklusiven Modeladen von Blancos Frau bekommen. Ziemlich geschäftsschädigend, aber wegen des erwarteten Prüfungskomitees kann Blanco so einen nicht in der eigenen Firma gebrauchen. Später wird er einen Schläger gebrauchen können. Und der alte Dreher hat auch am Sonntag noch im Garten der Blancos gearbeitet … denn wir sind alle eine große Familie! Die Amoralität des Chefs zeigt sich in einem grandios bitteren Finale, wenn Blanco seine Mitarbeiter den Regierungsvertretern vorführt, während in unseren Köpfen ihre Schicksale ablaufen. Mittlerweile ist er selbst Opfer seiner Ränkespiele.

Regisseur Fernando León de Aranoa, der an „komplexes und künstlerisch ambitioniertes Kino“ glaubt, sieht seinen neuen Film als Gegenentwurf zu „Montags in der Sonne“ („Los lunes al sol“), der sich mit dem Thema der Arbeitslosigkeit beschäftigte. Javier Bardem stand schon 2002 bei diesem Film von de Aranoa vor der Kamera und gewann damit, neben anderen Auszeichnungen, einen Goya Award als Bester Darsteller. 2017 folgte eine neue Zusammenarbeit „Loving Pablo“. Seine schauspielerische Leistung als Drogenbaron Pablo Escobar bescherte Bardem den Publikumspreis beim Premios Platino del Cine Iberoamericano Festival sowie eine Goya-Nominierung als Bester Darsteller. Nun beweist er sein schauspielerisches und komödiantisches Können mit feinen Tönen. „Der perfekte Chef“ war Spaniens Oscarvorschlag 2021 und wurde bei den Goyas mit insgesamt sechs Preisen ausgezeichnet, unter anderem als Bester Film, für die Beste Regie und den Besten Hauptdarsteller.


Ein FILMtabs.de Artikel