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Leander Haußmanns Stasikomödie

Deutschland 2021, Regie: Leander Haußmann, mit David Kross, Jörg Schüttauf, Antonia Bill, Deleila Piasko, Henry Hübchen, 116 Min., FSK: ab 16

Lässt sich über Stasi lachen? Kurz nach dem erfolgreichen Stasi-Drama „Das Leben der Anderen“ wäre die Frage vehement verneint worden. Doch das war 2006. Jetzt lässt Leander Haußmann die Anklage weg und amüsiert sich versöhnlich wie vortrefflich in „Leander Haußmanns Stasikomödie“. Ein berühmter Autor erinnert sich an seine Stasi-Vergangenheit, frei nach dem realen Alexander „Sascha“ Anderson. Nach „Sonnenallee“ und „NVA“ unterhält auch der dritte Teil der DDR-Trilogie mit exzellenten Schauspielern und feinem Humor.

Es ist ein großer Tag: Der erfolgreiche Autor Ludger Fuchs (Jörg Schüttauf) hat seine Stasi-Akte erhalten und wird sie zuhause lesen. Das private Ereignis wuchs zu seiner Überraschung zu einer kleinen Party: Neben Ehefrau Corinna (Margarita Broich) sind Kinder und Enkel sowie Herr Dietrich vom Literatur-Institut (Tom Schilling) aufdringlich und gegen seinen Willen dabei. Das Blättern im Akten-Ordner ist erst etwas peinlich bei unscharfen Fotos der ersten Liebesnacht und dann dramatisch bei einem zerrissenen Liebesbrief, der nicht von Corinna ist. Aber chronologisch nach dem Zusammenkommen von Ludger und Corinna liegt – die Stasi ist ordentlich! Wütend stürmt Ludger aus dem Haus, trifft einen alten Kumpel und beschwert sich, dass die alten Kollegen die falsche Stasi-Akte falsch gefälscht haben. In einer Rückblende erfahren wir, was der gefeierte Romanautor und Widerstandsheld wirklich als junger Mann in der DDR gemacht hat.

Nachdem sich Ludger (David Kross) an einer vom Stasi-Offizier (genial: Henry Hübchen) ferngesteuerten Fußgängerampel als extrem systemtreu erwies, wird er angeworben, um die Bohème des Prenzlauer Bergs auszukundschaften. Beim ersten slapstickhaften Einsatz landet er direkt im Bett des Zielobjekts, was nicht nur seinem Offizier (Hübchen), sondern auch Minister Erich Mielke gefällt. So okkupiert der Neu-Spion direkt eine Wohnung, dessen Mieter noch nicht ganz verstorben ist und lebt sich in die Szene ein. So sehr, dass er schon bald seinen Auftrag vergisst. Dabei macht der angebliche Dichter Ludger selbst auf den Beat-Poeten Allen Ginsburg Eindruck. Bei dessen Besuch auf einer privaten Party im Prenzlauer Berg ereignet sich aus lauter Verlegenheit von Ludger etwas, was zur Perle Haußmannschen Humors wird. Um wirklich in den Kreis der Kreativen um seine Liebste aufgenommen zu werden, soll der Neue selbst etwas präsentieren. Mangels Material zerreißt Ludger die Perlenkette der Drag Queen (Alexander Scheer), die ihn zum Auftritt drängt und meint „Perlen vor die Säue“. Dieser Spruch macht nun sowohl in Stasi-Kreisen als auch bei den Subversiven die Runde und erfährt vielfältige surreale Interpretationen. Bis hin zu Protestaktionen, bei denen der Stechschritt der Soldaten an der Neuen Wache durch „Perlen“ auf dem Boden ins Stolpern gerät. Es ist dieses feine Spiel mit eigentlichen Nichtigkeiten in Haußmanns eigenem Drehbuch, welches Absurdität von Systemen und Gegenbewegungen gleichermaßen aufzeigt.

Ein bisschen deftiger kann er selbstverständlich auch: Die Szene, in der sich der dicke Minister für Staatssicherheit der DDR zu seinem Geburtstag als Sonnenkönig inszeniert und mühsam vom Pferd gehoben werden muss, erinnert an schrille italienische Polit-Farcen wie „Il Divo“. Und die drei anderen studierten Kollegen von der Stasi sehen nicht nur aus wie Idioten.

Haußmanns Komödie hat eine Besetzung, mit der man einen kompletten Preisverleihungsabend gestalten könnte. Ludger Fuchs ist sowohl in der Ausführung alt mit Jörg Schüttauf und jung mit David Kross überaus gewinnend besetzt und gespielt. So rettet der junge Ludger in der skurrilen Eingangsszene gleich ein kleines Kätzchen vor einer großen Straßenreinigungsmaschine. So ein Mensch kann nicht schlecht sein, selbst wenn er später bei der Stasi ist. Haußmann selbst meint dazu: „Meine Figuren sind aber im Grunde auch in ihrer Blödheit sympathisch, vor allem die Hauptfigur, die von David Kross gespielt wird. Der ist eher so einer wie Jean-Pierre Léaud bei Truffaut. Der geht staunend durch die Welt und reagiert auf jede einzelne Situation.“

Autor und Regisseur Leander Haußmann äußert sich selbst versöhnlich gegenüber dem eigenen Nachbarn, der ihn ausspioniert hat. So ist dieses sehr spaßige und ganz andere „Leben der Anderen“ zu verstehen. Denn beim großen, auch internationalen Erfolgsfilm von Florian Henckel von Donnersmarck über das Treiben der Stasi im Künstler-Milieu waren die Fronten klar. Standhaft war gut, Verrat böse. Schmerzlich böse. Der Trick von „Leander Haußmanns Stasikomödie“ liegt darin, dass Fuchs niemanden „ans Messer liefert“. Seine Berichte sorgen geradezu für dadaistische Verwirrung im Ministerium für Staatssicherheit. Bis in die Spitze. Denn Erich Mielke nahm den Jungen früh unter spezielle Beobachtung. Die wahre Geschichte vom Autor Alexander „Sascha“ Anderson diente als Vorlage, Haußmann müht sich aber nicht mit einer Abrechnung ab. So verläuft nicht mal die Liebe unter den Bedingungen der Stasi wirklich schmerzlich. Im letzten Augenzwinkern von Corinna liegt ein heiteres Unentschieden der Betrogenen. Das Leben geht derweil mit der nächsten Generation weiter. Draußen schauen sich Fuchs und Buck als ewiger Streifenpolizist bei einer besonderen Form von Dialektik in die Augen. Auf die gegenseitige Frage, was haben wir alles falsch gemacht, gibt es eine lange Pause und dann keine Antwort.


Ein FILMtabs.de Artikel