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Sweet Tooth / Netflix

Nie war Pandemie aufregender und fantastischer: In der Serie „Sweet Tooth“ nach der gleichnamigen DC-Comicreihe von Jeff Lemire stirbt und meuchelt sich ein großer Teil der Menschheit „an oder wegen“ dem H5G9-Virus dahin. Zum gleichen Zeitpunkt werden Mischlinge aus Mensch und Tier geboren, aber auch bald gejagt. Man weiß nicht, ob sie Ursache oder Folge des Virus sind.

Gus (Christian Convery) ist ein Junge, der von seinem Vater vor einer chaotischen und gewalttätigen Welt im Wald versteckt aufgezogen wurde. Als Mischwesen hat der Knabe ein zartes Geweih und lustig zappelnde Öhrchen. Dazu kann er im Dunkeln sehen und sehr gut riechen. Die Erziehung zum Überleben betonte immer die Gefahr hinter dem Zaun. Doch mit einem sanften Papa ähnelt alles eher Waldorfschule als dem hartem Survival-Training von „Wer ist Hanna?“. Dementsprechend naiv stolpert Gus in eine überwältigende Welt mit eindrucksvollen Landschaften und wieder wilden (Zoo-) Elefanten und Giraffen, als er doch das Gebot des Vaters übertreten muss. Zum Glück hat er den großen, brummigen Einzelgänger Tommy Jepperd (Nonso Anozie) an seiner Seite.

„Sweet Tooth“ ist immer besonders stark, wenn die Serie neue, schillernde Figuren einführt. Jepperd ist einer von ihnen: Ehemaliger Football-Star (im kanadischen Comic: Eishockey), ein gutmütiger Berg von einem Kerl. Dann hat er beim Ausbruch der Pandemie Dinge getan, auf die er nicht mehr stolz ist. Und für die ihn noch viele hassen. Wie Bear (Stefania LaVie Owen), die Gründerin der Animal Army. Diese Horde verwaister Kinder stattet sich mit Tier-Attributen aus, um recht selbstgerecht für die Mischlinge und die Natur zu kämpfen. (Ähnlichkeiten mit Klima-Aktivistinnen sind rein zufällig.) Mit VR-Videospielen haben sie für den Ernstfall trainiert. Ausgerechnet dieses Trio macht sich gemeinsam auf die Suche nach Gus‘ Mama. Immer verfolgt von Mischlings-Wilderern. Was besonders mit der Kombination aus Kind und anfangs unwilligem, alten Einzelgänger ein ausgetretener Pfad sein könnte. Es bleibt mit der herrlich unbeschränkten Fantasie des Comics jedoch immer frisch und überraschend.

Die Mischung aus „Bambi“ und „Mad Max“ wird angereichert mit der tragisch-komischen Geschichte des indischen Virologen Dr. Aditya Singh (Adeel Akhtar), einem ehemals unglaublich netten Arzt, der zur Heilung seiner Frau ethischen Grenzen überschreitet. Und der vormals unscheinbaren Therapeutin Aimee Eden (Dania Ramirez), die nun in einem Zoo eine Mischlings-Tochter beschützt. Dazu gibt der sonore Erzähler (James Brolin) trocken ironische Kommentare ab. Wobei die postapokalyptischen Landschaften (gefilmt in Neuseeland) und Szenerien eher farbig als wüst im Stile von „Mad Max“ daherkommen. Besonders das Violett des Virus‘ – in plötzlich sprießenden Veilchen und der positiven Testflüssigkeit – lässt tödliche Gefahr schön aussehen.

Der kanadische Comicautor Jeff Lemire („Essex County Trilogy“, „The Nobody“, „The Underwater Welder“) veröffentlichte „Sweet Tooth“ in 40 Ausgaben von 2009-14. Die ersten Folgen der Film-Serie auf eine nicht gerade dezente Symbolik für unser Verhältnis zur Natur zu reduzieren, wäre gemein verkürzend. Gerade die launisch präsentierte Vielfalt menschlicher Verhaltensweisen von den braven Bürgerwehren, die infizierte Nachbarn in Frischhaltefolie einwickeln und mit den eigenen Häusern abfackeln, bis zu dem schon „süüüüß“ liebenswerten Gut-„Menschen“ Gus gibt „Sweet Tooth“ eine reizvolle humanistische Tiefe zu den fantastischen Ideen.

Ausführende Produzenten des Projekts sind übrigens Susan Downey und ihr Ehemann Robert Downey Jr. Als Showrunner und Drehbuchautoren prägten Jim Mickle („Vampire Nation“ 2010) und Beth Schwartz die herausragende und hoffnungsvolle Pandemie-Serie.

„Sweet Tooth“ (USA 2021), Regie: Jim Mickle, Toa Fraser, Robyn Grace, mit Christian Convery, Nonso Anozie, Adeel Akhtar, 8 Folgen von 37-53 Min., Altersfreigabe ohne Angabe


Ein FILMtabs.de Artikel