« | Home | »

Lars Eidinger – Sein oder Nichtsein

Deutschland 2022 Regie: Reiner Holzemer, 92 Min., FSK: ab 6

Der Schauspieler Lars Eidinger ist ein Phänomen. Auch über seine grandiosen Auftritte auf der Bühne und im Film hinaus. Dieser Dokumentarfilm von Reiner Holzemer folgt Eidinger bei großen Inszenierungen und nähert sich der eindrucksvollen Selbstdarstellung Eidingers ohne private Einblicke zu erhalten.

Lars Eidinger ist ein außergewöhnlicher Schauspieler. Seine Neuinterpretationen von „Hamlet“ und „Richard III“ zusammen mit Regisseur Thomas Ostermeier an der Schaubühne am Lehniner Platz haben Theatergeschichte geschrieben. Zudem hat er seit seinem Kinodebüt in „Alle Anderen“ von Maren Ade mit internationalen Filmstars wie Juliette Binoche, Isabelle Huppert und Adam Driver gespielt. Seine Rolle in „Babylon Berlin“ machte ihn noch populärer. Als DJ sorgt er ebenso für Aufsehen wie als Gelegenheitsfotograf. Seine Kunstaktion, mit einer selbstdesignten Aldi-Tasche vor Obdachlosen zu posieren, wird immer noch konträr diskutiert.

Regisseur Reiner Holzemer porträtierte bisher die Modedesigner Martin Margiela und Dries Van Noten sowie den Filmemacher Anton Corbijn. Nun begleitete er den Schauspieler Lars Eidinger neun Monate mit der Kamera. „Lars Eidinger – Sein oder Nichtsein“ ist dabei in großen Teilen ein interessantes „Making of“ der Salzburger „Jedermann“-Aufführung des Jahres 2021. Von den ersten Pressefotos, bei denen Eidinger charmant darauf besteht, nur von links gezeigt zu werden, über die Kostümwahl, die schon den Charakter jedermanns formt, bis zu Premiere folgen wir der künstlerischen Entwicklung des Stücks sehr nah. Eine dicke Wampe, hohe Stiefeletten und Boxhandschuhe geben der traditionellen Figur einen „Eidinger-Touch“. Mit den üblichen Lobpreisungen der Kolleginnen und Kollegen, sowie einem Wutausbruch im Kinski-Stil. Die „Diva“ (Eidinger) beschwert sich, weil der Regisseur bei den Proben abgelenkt war, während der Star ein tränenreiches Beispiel seiner großen Emotionalität auf der (Probe-) Bühne gab.

Die Bühnenkarriere wird pflichtschuldig mit einem Besuch an der Schauspielschule Ernst Busch in Eidingers Geburtsstadt Berlin nachgezeichnet. Er war im bemerkenswerten 99er-Jahrgang mit Devid Striesow, Fritzi Haberlandt und Nina Hoss. Ausschnitte von „Hamlet“ und „Richard III“ mit Eidingers Kommentaren zu diesen Inszenierungen sind wie die Gedanken zu „Jedermann“ der interessante Kern dieser Dokumentation. Hochreflektiert wirft er mit seinen Ideen klassische Aufführungspraktiken über den Haufen, so wie er mit großem emotionalen und körperlichen Einsatz das Bühnen-Dekor demontiert. Eine Episode von der Schauspielschule, wo er mit enormer Expressivität minutenlang nur ein Bonbon lutschte, beweist das Können auch leiser Töne. Im Gegensatz gibt es auch das „Zuviel“, das Eidinger zu einem provokanten Charakter macht, wenn er mit viel zu warmer Wollmütze beim Tennisspiel von seinem riesigen Ehrgeiz erzählt.

Während die „missverstandene“ Aktion mit der Aldi-Tüte immer wieder hinterfragt wird, ohne erklärt zu werden, gibt es nur Sekunden eines DJ-Auftritts. Auch die bemerkenswerte Film-Karriere kommt zu kurz. Eine längere Szene zeigt Eidinger bei den Dreharbeiten zu der Serie „Irma Vep“ von Olivier Assayas in Paris, wo er eine kleine Gartenparty in Stücke schlagen darf, während er über die wahre Kunst monologisiert. Im Selbstverständnis seines Tuns ist denn auch dieses Porträt am nächsten an Lars Eidinger dran – an der faszinierenden Kunst-Figur Eidinger.


Ein FILMtabs.de Artikel