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Seneca – Oder: Ãœber die Geburt von Erdbeben

Deutschland, Marokko, Frankreich 2023, Regie: Robert Schwentke, mit John Malkovich, Tom Xander, Geraldine Chaplin, 112 Min., FSK: ab 16

Es ist der beste Witz dieses Films, dass der berühmte römische Philosoph und Tragödiendichter Lucius Annaeus Seneca immer wieder gesagt bekommt, er solle doch endlich mal seinen Mund halten. Ein ironischer Twist für einen, der in der Geschichte als wortgewandter Rhetoriker legendär geworden ist.

Zu Beginn lehrt der Staats-Philosoph Seneca (John Malkovich) dem jungen Nero (Tom Xander) bei einer rhetorischen Ãœbung unwissentlich, wie dieser ihn irgendwann einmal aus der Gesellschaft rausschmeißen und ihm das Todesurteil ausstellen wird. Diese Szene könnte vom Setting in karger Landschaft und antiken Ruinen eine Reminiszenz an das Filmpaar Danièle Huillet und Jean-Marie Straub sein, die immer Originallandschaften in extrem dröge Inszenierungen alter Texte einfließen ließen. Doch der vielseitige deutsche Regisseur Robert Schwentke („Der Hauptmann“, „R.I.P.D.“) verlässt sehr schnell diesen Pfad zu einer postmodernen, ahistorischen Darstellung mit einem mit „Mom” tätowierten Nero, mit E-Gitarre und Sonnenbrille, Steuerbescheid und Streetart mit Panzern.

Während der grausame Mörder Nero, ein Monster mit rundlich weichen Gesicht, seine Frau und viele andere umbringen lässt, macht Seneca mit monströsen Masken Theater im Theater, geschrieben und vor dekadentem Publikum inszeniert vom Denker selbst. Im Stück werden die Verbrechen Neros nachgespielt, echte Sklavenkinder ermordet und zerstückelt. Das verläuft stellenweise schockierend grausam, wobei beim Spiel im Spiel (-Film) auch gleich der Sinn von Gewalt in der Kunst thematisiert wird. Senecas Freundin und Zuschauerin Lucia (Geraldine Chaplin) meinte zuvor, „Ich hoffe, es wird nicht wieder politisch!“ Tödlich wird es, als Nero des Moralisierens seines alten Lehrers überdrüssig ist und einen brutalen Killer zu dessen Land-Villa schickt. Bis zum nächsten Morgen habe Seneca, um sich selbst umzubringen, ansonsten würde es hässlich werden.

Was macht nun ein stoischer Philosoph mit seinen letzten Stunden? Er doziert vor den anwesenden Gästen, bis die letzten von ihnen abhauen und selbst der dienstbare junge Schreiber Lucius, der jedes Wort notierte, meint: „Du hast genug geredet!“ Trotz erkennbarer Eheprobleme, die sich jetzt auf keinen Fall mehr lösen lassen, bietet Seneca seiner sehr jungen Frau Paulina (Lilith Stangenberg) einen Doppelselbstmord als „starken Abgang“ an. Nach noch ein paar Reden lässt er sich lange Schnitte in jeden Arm applizieren. Während das Blut bei Paulina heftig fließt, tröpfelt es beim alten Mann nicht mal. Der Schierling, das Gift fürs Vorbild Sokrates, führt nur zu wilden Visionen.

Regisseur Robert Schwentke kann gut in Hollywoods Action-Liga mitspielen, wie er mit „Flight Plan“, „R.E.D.“, „R.I.P.D.“, „Die Bestimmung“ und zuletzt bei „Snake Eyes: G.I. Joe Origins“ bewies. Er kann aber auch politisch und historisch relevante Stoffe wie das Weltkriegsdrama „Der Hauptmann“ sehr gut inszenieren. Nun setzt er in „Seneca“ einen antiken Philosophen in irre Kulissen, Settings und Szenen. Die Frage, ob der enorm reiche Seneca ein Opportunist, Heuchler und Kollaborateur war oder, seinem Selbstbild entsprechend, ein moralisch aufrechter, weiser Mensch, der dem Tod ohne Angst ins Antlitz schaut, beantwortet er mit viel Komik. Das historische Spiel ist dabei ganz Gegenwart, wenn gefragt wird, ob es sein könne, dass unsere Generation den Kollaps der Erde verdient hat, und Nero immer „Mr. President“ heißt.

Die Fast-Solonummer Malkovichs ist eine eindrucksvolle Show, die „Seneca“ allein sehenswert macht. Nett dazu die Auftritte deutscher Darsteller: Erstaunlich und eigen Lilith Stangenberg mit ihrer rauen Stimme als junge Frau Pompeia Paulina. Alexander Fehling gibt einen snobistischen Gast und Samuel Finzi den Major Domus Statius.

Wenn zuletzt Senecas Leiche von Baggern verscharrt und der Niedergang Roms angesichts einer heutigen Müllhalde festgestellt wird, wirkt das Ende der Kultur nicht sonderlich tragisch. Was daran liegt, dass sie sich in Person Senecas selbst lächerlich gemacht hat.

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Ein FILMtabs.de Artikel