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Die Zeit, die wir teilen

Frankreich, Deutschland, Irland 2021 (A propos de Joan) Regie: Laurent Lariviére, mit Isabelle Huppert, Lars Eidinger, Swann Arlaud, 101 Min., FSK: ab 12

Die Pariser Verlegerin Joan Verra (Isabelle Huppert) erzählt ihr Leben – während einer verregneten Autofahrt direkt in die Kamera. Als Frau vom Fach hält sie im Spiel mit den Rückblenden das Interesse hoch. Allerdings ist sie Spezialistin für Fiktionales, es muss nicht alles wahr sein. Als Tochter einer Französin und eines Iren war Joan (jung: Freya Mavor) gerade Aupair-Mädchen in Dublin, als sie den Taschendieb Doug (Éanna Hardwick) kennenlernte. Wilde Nächte im Pub und gemeinschaftliche Diebestouren besiegelten diese Liebe. Doch bevor Joan erfuhr, dass sie schwanger ist, wurde sie erwischt und nach Frankreich abgeschoben. Bei der Rückkehr mit dem gemeinsamen Sohn Nathan sah die junge Mutter den Täuscher verliebt mit der Kellnerin im Pub und kehrte sofort um. So hat Doug niemals erfahren, dass er Vater wurde. Sie erzählt es ihm auch in der Jetztzeit nicht, als er mit Rucksack und ohne Wohnung in Paris auftaucht. Das kurze Wiedersehen wühlt die Frau um die 60 auf, die sich in ihr Landhaus und Lebenserinnerungen zurückzieht.

Es meldet sich dort nur der exzentrische Schriftsteller Tim Ardenne (Lars Eidinger), einer ihrer Klienten. Der jüngere Mann gestand auf kindische Weise öffentlich seine Liebe zu ihr und drohte seinen Stil zu verlieren, bevor Joan ihm nachgab. Es blieb allerdings eine wechselhafte Beziehung. Wie Joans Leben überhaupt die Geschichte instabiler Beziehungen und auch von Lebenslügen ist: Die Affäre der Mutter mit dem japanischen Karate-Lehrer führte dazu, dass diese ihre Familie nach Japan verließ – angeblich. Solche Erfahrungen verfestigten sich in bitteren Lebensbetrachtungen: Die Karate-Weisheit vom „Fallen und wieder Aufstehen“ sei Blödsinn. Fallen tue einfach weh!

Zum Glück meldet sich Joans Sohn Nathan (Swann Arlaud) ausgerechnet zur Sinnkrise persönlich auf dem abgelegenen Landhaus. Es ist ein seltener Besuch, denn aus einem aufgeweckten Kind, das sehr oft auf sich alleine gestellt war, wurde ein erfolgreicher Wissenschaftler, der in Montreal arbeitet. Auch zwischen diesen Generationen gibt es reichlich Spannungen, schon am ersten Morgen fällt der Satz „Wenn du an meiner Liebe zweifelst, bringe ich dich um!“ Die Rückblenden zu Nathan kurzer Kindheit zeigen exzentrische Mutterschaft, die perfekt zum Rollenbild von Isabelle Huppert passt. Aber auch der Junge lässt staunen. Irgendwann gibt er ihre gelesenen Tagebücher zurück und bespricht sie mit ihr; durchaus mit dem Ton eines Literaturagenten. Wobei sich die Gespräche immer öfter um einen tragischen Badeunfall Nathans im Alter von sieben Jahren drehen.

Es eine typisch zurückhaltende und sehr tiefgründige Rolle für die großartige Isabelle Huppert, diese Joan Verra. Ein Name, der im Französischen „Joan wird sehen“ oder „Joan wird erkennen“ bedeutet, was den psychologischen Clou des Films vorwegnimmt. Neben dieser Königin natürlich dargebotener Exzentrik muss selbst der dauer-clowneske Lars Eidinger in seiner Rolle als alberner, aber liebenswerter Autor an den Rand treten. Die nur in der bald zu ahnenden „Überraschung“ spektakuläre Geschichte von „Die Zeit, die wir teilen“ kann durch einige schöne Szenen der jungen Darsteller, gutes Spiel und sorgfältige Inszenierung gewinnen.


Ein FILMtabs.de Artikel