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Das Licht, aus dem die Träume sind

Indien, Frankreich, USA 2021 (Last Film Show) Regie: Pan Nalin mit Bhavin Rabari, Bhavesh Shrimali, Richa Meena, 112 Min., FSK: ab 12

Der neunjährige Samay (Bhavin Rabari) ist Sohn eines Tee-Verkäufers an einem kleinen indischen Bahnhof. Sein Vater zählt als Brahmane zwar zu einer höheren Kaste, doch da ihm die Brüder einst die Herde stahlen, lebt er in Armut. Ein Höhepunkt ist der Familienbesuch im Kino des nächsten Ortes. Samay stellt danach begeistert fest: „Ich möchte Filmemacher werden!“ Worauf der Vater entsetzt ist, denn „die Filmwelt ist schmutzig und widerspricht unseren Tugenden“.

Fortan experimentiert der aufgeweckte Junge an der Bahnstrecke mit durch farbiges Glas gefiltertem Licht und erzählt Geschichten mit den Bildern von Streichholzschachteln. Selbstverständlich wird auch die Schule geschwänzt, um sich heimlich und ohne Eintrittskarte ins Kino zu schleichen. Bald wird er erwischt und im hohen Bogen rausgeschmissen. Aber Filmvorführer Fazal (Bhavesh Shrimali) hat Mitleid und lässt den kleinen Kinofan in der Kabine mitschauen. Der Deal lautet: Samay bringt das köstliche Essen seiner Mutter mit und darf dafür in der Vorführkabine umsonst Filme sehen. Dabei bleibt es nicht. Er lernt auch das Vorführen und erkundigt sich, wieso es eigentlich Filme gibt. Die spezielle Filmgeschichte dieses Vorführers ist allerdings eine der vielen Lügengeschichten des Kinos.

„Das Licht, aus dem die Träume sind“ ist als „Cinephilgood-Drama“ sehr verwandt mit „Cinema Paradiso“, auch wenn hier der Filmvorführer deutlich jünger und verrückter als Philippe Noirets Alfredo ist. Und indischer Film mit seinen überbordenden Tanzsequenzen und der betörenden Farbenpracht eine völlig andere Welt. Doch der große Saal voller Menschen, die tanzenden Staubkörner im Lichtstrahl, das Rattern des Filmprojektors, das sind alles universelle Erfahrungen des Kinos. Und wenn diese Initiation von großen Cineasten schon oft gefeiert wurde, in Zeiten von Netflix und politischer Streaming-Förderung kann es nicht passender sein, sich noch einmal darüber zu begeistern.

Samays Ansage „Wir müssen das Licht einfangen“ folgen wunderbare poetische Momente und immer wieder Schmunzeln über Ideen für Lichtspiele, Imitationen von Filmszenen mit Kindermitteln, Kartons und Müllresten. Anfangs klaut der kleine Filmfan einzelne Filmbilder, die er über eine Linse auf ein weißes Tuch der Mutter projiziert. Dann werden es ganze Filmrollen und irgendwann haben die Freunde ein richtiges Filmlager, das Samay schließlich ins Gefängnis bringt. Traumhaft ist eine komplett von den Kindern nachvertonte Filmszene mit den Geräuschen des Windes, dem Klappern der Pferde, dem Gesang des vergötterten Filmstars.

Auch die harten Realitäten einer Kindheit in Indien werden in dieser bittersüßen Erinnerung nicht ausgeblendet. Der Lehrer macht klar: Wenn du es in diesem Land zu etwas bringen willst, musst du zwei Dinge tun. Erstens musst du Englisch lernen und zweitens musst du von hier fort gehen. Systemwechsel sowohl bei der Bahn als auch im Kino machen Vater und Filmvorführer arbeitslos. Immer ist es die fehlende Kenntnis des Englischen, die verhindert, dass sie im neuen System einen Job haben können.

Ein wahres Martyrium dann, wenn Samay dem Ausweiden „seines“ Kinos Galaxy folgt: Auf einem Friedhof der Filmprojektoren werden diese zerschmettert und eingeschmolzen, um banal als Löffel zu enden. Die alten Filme erleben nach dem Einschmelzen ein neues Leben als farbige Armreifen und Regisseur Pan Nalin macht daraus im Finale eine rührende Hommage an die Regisseure, die ihn geprägt haben. Wie überhaupt einige Zitate aus klassischen Filmen zu entdecken sind. Angefangen mit den mehr als Truffauts 400 Schlägen („Sie küßten und sie schlugen ihn“ / „Les Quatre Cents Coups“), die der Junge vom Vater bekommt. Der ihn schließlich doch in einer herzzerreißenden Szene seinen Weg gehen lässt.

Pan Nalins Komödie „7 Göttinnen“ (2015) genoss kommerziellen Erfolg und Kritikerlob. Ins globale Rampenlicht trat Pan Nalin bereits mit „Samsara“ (2001), der über 30 internationale Auszeichnungen gewann. Nalins romantisches Epos „Valley of Flowers“ (2006) gilt als großer Underground-Hit. Die japanisch-französisch-deutsche Koproduktion wird nach wie vor auf mehreren Plattformen veröffentlicht und hat weltweit Kultcharakter. Der teils autobiographische Film „Das Licht, aus dem die Träume sind“ ist sein erster Film in Gujarati-Sprache. Kürzlich beendete Nalin seine erste neuseeländisch- indische Koproduktion, „The Disappearance of Eva Hansen“, ein spiritueller Thriller im Himalaya mit David Wenham und Emmanuelle Beart.


Ein FILMtabs.de Artikel