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Alles ist gutgegangen

Frankreich 2021 (Tout s’est bien passé) Regie: François Ozon, mit Sophie Marceau, André Dussollier, Géraldine Pailhas, Hanna Schygulla, Charlotte Rampling, 109 Min., FSK: ab 12

Der französische Meisterregisseur François Ozon („Gelobt sei Gott“, „Frantz“) beschäftigt sich in seinem neuen Drama „Alles ist gutgegangen“ mit Sterbehilfe, die staatlich erschwert wird. Sophie Marceau, André Dussollier, Hanna Schygulla und Charlotte Rampling glänzen in der Verfilmung einer autobiografischen Vater-Tochter-Geschichte von Emmanuèle Bernheim.

Der 84-jährige französische Industrielle und Kunstliebhaber André Bernheim (André Dussollier) erleidet einen Schlaganfall, ist gelähmt, ein weiterer droht. Der Schreck und dann die Pflegesituation reißen Emmanuèle Bernheim (Sophie Marceau) aus ihrem gewohnten Leben als Schriftstellerin. Die Schwester Pascale (Géraldine Pailhas) hilft, beide haben ein enges und gutes Verhältnis. Dann der nächste Schock: André, gut versorgt und gepflegt, will mit einer halbseitigen Lähmung und entsprechend entstelltem Gesicht nicht mehr leben. Von den Ärzten wird der Wunsch nach selbstbestimmtem Tod mit Sprüchen in der Art „das wird schon wieder“ ignoriert. Mit der Ausführung der in Frankreich verbotenen begleiteten Selbsttötung beauftragt der Patriarch die Lieblingstochter Emmanuèle. Ausgerechnet sie, die in der Jugend am meisten unter dem rücksichtslosen Egomanen leiden musste.

Schwester Pascale erkennt in dem Auftrag, des Vaters Leben zu beenden, eine letzte Gemeinheit seinerseits: Als Kind hätte Emmanuèle ihm doch oft den Tod gewünscht. Dieser Wunsch würde nun erfüllt. Die Antwort der Lieblingstochter: „Er ist ein schlechter Vater, aber ich liebe ihn sehr. Ich wünschte, ich hätte ihn als Freund gehabt.“ Und der Rat einer Freundin: „Dann hilf ihm jetzt wie ein Freund, sein Leben zu beenden.

Was nicht so einfach ist. Vor allem staatliche Stellen erschweren selbst den Weg in die Schweiz, wo die Sterbehilfe-Organisation einer ehemaligen Juristin (Hanna Schygulla) einen menschenwürdigen Abschied möglich macht. Diese gesetzlichen Schikanen gegen selbstbestimmtes Sterben sorgen letztlich für etwas Drama am Ende. Bis dahin konzentriert sich François Ozons „Alles ist gutgegangen“ auf die von den exzellenten Darstellerinnen und Darstellern gespielten Personen und ihre Befindlichkeiten.

Ehefrau Claude de Soria (Charlotte Rampling) schaut nur kurz vorbei. Die Künstlerin, die alle ihre Plastiken in Grau machte und darin viele Schattierungen sah, leidet selbst unter Parkinson und Depressionen. Sie wusste schon bei ihrer Hochzeit, dass André schwul ist. Zur Trennung kam es erst viel später. Ein renitenter Liebhaber, den die Schwestern nur mit einem Schimpfwort benennen, will einen letzten Abschied und eine irrsinnig teure Armbanduhr. Schwester Pascale verlässt beim Thema Sterbehilfe gerne den Raum und hat wenig eigenen Hintergrund. Hier bekam die autobiografische Autorin Emmanuèle Bernheim vielleicht kein Copyright für das echte Leben. In Frankreich mag dieser nüchterne Ansatz durch die Funktion als Schlüsselroman auf zusätzliches Interesse gestoßen sein. Die Figuren sind von einiger Prominenz: Emmanuèles Lebenspartner Serge Toubiana war beispielsweise Leiter der Cinémathèque Française.

Das Thema Sterbehilfe ist weltweit im Wandel. Kirchen und ihnen gefügige Parteien beharren auf ihrem „Recht“ auf das Leben ihrer Schäfchen. Ungeachtet des enormen Leidens, das sie damit verlängern. Ozon konjungiert kurz die Einwände der abrahamitischen Religionen durch: Der französische Staat fungiert als Ausführungsgehilfe der Katholiken. Eine alte Tante, die ein Konzentrationslager überlebte, meint, in einer jüdischen Familie, die so viel erlitten habe, dürfe man sich nicht umbringen. Und in einer ironischen Note mischt sich auch noch ein islamischer Krankenfahrer ein und verweigert den Weitertransport, als er erfährt, wohin es geht.

Mit einer – im Gegensatz zum sonstigen Schaffen – sachlichen, distanzierten Darstellung bleibt Ozon in Sachen Drama und Emotionen weit hinter großen Filmen zum Thema zurück: „Das Meer in mir“ mit Javier Bardem. Die damals noch unbekannte Liv Lisa Fries mit Mukoviszidose und eigener, letzter Kraft auf dem Weg in die Schweiz in „Und morgen Mittag bin ich tot“. Mit ALS auf Fahrradtour nach Belgien in „Hin und weg“. Oder eine dänische Seniorin und ihr letztes Familientreffen wegen ALS in „Silent Heart – Mein Leben gehört mir“ von Bille August. Ohne all diese tiefe Erschütterung verläuft „Alles ist gutgegangen“ fast routiniert bis zum erlösenden Titelsatz von Hanna Schygulla.

Vielleicht ist der neue Ozon eher eine Gefälligkeit für die Schriftstellerin Emmanuèle Bernheim, die seine Drehbuchautorin bei „5 x 2 – Fünf mal zwei“ (2004), „Swimming Pool“ (2003) und „Unter dem Sand“ (2000) war.


Ein FILMtabs.de Artikel