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Netflix-Film “Roma” im Kino

Revolution in der Filmwelt

Der Venedig-Sieger „Roma“ vom hervorragenden Regisseur Alfonso Cuarón startet heute in den deutschen Kinos (Aachen: Apollo). Eigentlich selbstverständlich für einen ausgezeichneten Film. Doch dass die Netflix-Produktion vor dem Streaming-Start am 14.12. überhaupt das Licht des Kinos sieht, ist für die Filmwelt eine sensationelle Rolle rückwärts und hat viel mit den Oscars zu tun.

Klärung tut Not, denn „Roma“ liegt hier nicht in Italien, sondern ist ein Viertel in Mexiko-Stadt. Und es ist auch kein Film, sondern ein Netflix-Film. Der Marktführer für das Film-Streaming, der mit seinem neuen Konzept das Sehverhalten revolutioniert und von der Straße nach Hause geholt hat, zeigt seine Schätzchen üblicherweise nicht im Kino. Weshalb er als Totengräber der Filmtheater dämonisiert wird.

„Roma“ ist das bisher persönlichste Projekt des Oscar-prämierten Regisseurs und Drehbuchautors Alfonso Cuarón („Gravity“, „Children of Men“, „Harry Potter und der Gefangene von Askaban“, „Y Tu Mama Tambien“). Der Film handelt von Cleo, einer jungen Hausangestellten, die für eine Familie im mittelständischen Viertel Roma arbeitet. Basierend auf seiner eigenen Kindheit erschafft Cuarón ein emotionales Werk über häuslichen Streit und soziale Hierarchien inmitten der politischen Unruhen der 1970er Jahre und kreiert damit einen kunstvollen Liebesbrief an die Frauen, die ihn großgezogen haben. Im September gewann „Roma“ unter großem Beifall den Goldenen Löwen von Venedig.

Aber „Roma“ ist nicht nur sehr sehenswert, er stellt auch eine Kehrtwende der Film- sehens dar. Ein Revolution der Revolution, quasi eine Rolle rückwärts. Denn bislang waren Netflix und Kino trotz enormer Begeisterung der Filmemacher für größere Freiheiten beim neuen Produzenten wie Feuer und Wasser. Bei den großen Festivals hatte Cannes ein paar Netflix-Filme im Programm, beschränkte aber im Frühjahr den Wettbewerb auf Beiträge, die auch in französischen Kinos zu sehen sein werden. Quasi eine Anti-Netflix-Regel. Venedig zeigte sich offener.

Der Start von „Roma“ weltweit in den Kinos soll nun die Chancen auf den ersten Oscar für eine Netflix-Produktion erhöhen. In USA werden auch die nette Western-Kurzfilmsammlung „The Ballad of Buster Scruggs“ von Joel und Ethan Coen sowie Susanne Biers „Bird Box“ mit Sandra Bullock einen begrenzten Kinostart haben. Cuarón selbst zeigte sich erfreut, weil man „Roma“ bevorzugt im Kino sehen solle. Denn er sei – fast altmodisch – im 65mm-Format gefilmt und mit einem sehr komplexen Atmos-Sound abgemischt, dem aktuell besten Soundsystem in Kinos.

Amerikanische Kinoketten schließen Netflix weiterhin aus und wollen ein „Auswertungs-Fenster“ von mehreren Wochen vor dem Netflix-Start eines Films haben. Auch 300 deutsche Kinos riefen zuerst zum Boykott auf, bestehen auf das hiesige Fenster von 90 Tagen. Die deutsche Verleihagentur von „Roma“ äußert sich zur Kehrtwende nicht. All das erinnert entfernt an frühere Grabenkämpfe des Kinos mit TV-Koproduktionen. Jedoch warf man denen vor, bei Bild-Qualität und Erzählformat eingeschränkt zu sein. Bei Netflix trifft das nicht zu.

Für 2019 hat Netflix wieder viel Prominenz angekündigt: Martin Scorseses „The Irishman“ mit Robert De Niro, Steven Soderberghs „The Laundromat“ mit Gary Oldman, Meryl Streep und Antonio Banderas oder „The Last Thing He Wanted“ mit Willem Dafoe, Ben Affleck und Anne Hathaway. Spannender als die meisten Filme wird dabei die Frage sein, wo wir in Zukunft gute Filme sehen.


Ein FILMtabs.de Artikel