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Interview Jason Reitman zu “Juno”

Mein Date mit Jason Reitman, Regisseur und Autor des grandios bissigen ‘Thank You For Smoking’ und Regisseur der sympathischen Komödie ‘Juno’ beginnt überraschend untypisch für den Berlinale-Trubel drumherum, wo jeder darauf bedacht ist, möglichst adrett in die Kameras zu lächeln. Ein äußerst sympathischer Typ Mitte Dreißig begrüßt uns. Unrasiert, im abgewetzten Band-T-Shirt sieht er aus wie ein klassischer Nerd, einer der nie wirklich erwachsen geworden ist.

Der gleiche Typ sollte nur wenige Tage später im feinen Jackett vor den Kameras der Oscar-Pre-Show posieren.
Hier präsentiert er uns als erstes selbst die Fragen, die wir ihm stellen könnten: Wie er auf Ellen Page als Juno kam, woher der schöne Soundtrack stammt, ob er beleidigt wäre, wenn er keinen Oscar bekäme und – das Wichtigste – wie ist es, mit einem so berühmten Vater (Ivan Reitman ist u.a. der Regisseur von ‘Ghostbusters – Die Geisterjäger’; die Red.) aufzuwachsen und in seine Fußstapfen zu treten? Das nimmt uns allen schon mal die Luft aus den Segeln und das Interview sollte anders verlaufen, als geplant.

Wie kamen Sie zu ‘Juno’?

Es fing alles mit dem berühmten Telefonanruf an. Ein Freund meinte, ich müsse dieses Drehbuch lesen. Ich fragte, was ist es? Er sagte, es ist eine Teenagerkomödie, geschrieben von einer ehemaligen Stripperin. Ich sagte…okay, warum soll ich das lesen? Er meinte, weil es einfach großartig ist. Also hab ich das Script erhalten, gelesen und etwa nach der Hälfte habe ich gewusst, dass ich diesen Film drehen musste. Es ist perfekt. Ich liebte am Script, wie es mich überraschte und amüsierte. Also stoppte ich die Arbeiten an meinem eigenen Drehbuch und drehte ‘Juno’.

Wie würden Sie den speziellen, einzigartigen Humor von ‘Juno’ beschreiben?

Ich denke, es ist eine nachdenkliche Komödie und folgt damit in den Fußstapfen von Filmen wie ‘Election’, ‘About Schmidt’ und ‘Sideways’ von Alexander Payne oder ‘Das Appartment’ oder ‘Harold und Maude’. Diese Filme hatte ich vor Augen.

Juno ist sehr weise für ihr Alter. Kennen Sie Frauen wie sie?

Ich kenne besonders eine: Ellen Page. Sie ist unglaublich scharfsinnig. Sie sieht aus wie 12, aber denkt, als wäre sie 800 Jahre alt. Sie ist wie Yoda.

Ich denke, der Film steht in einer Linie mit den „humanistischen Komödien“ von Judd Apatow. Denken Sie, dass es mittlerweile ein Publikum gibt für diese Art von Humor?

Was ich an Judds Filmen mag, ist, dass er Barrieren durchbrochen hat, was die Definition eines Filmstars anbetrifft. Früher war es so, wenn du einen Film machen willst, brauchst du einen Star. Er hat das verändert. Jetzt braucht ein Film nur noch gut sein, um gesehen zu werden. Es macht nichts, wenn du vorher nie von den Schauspielern gehört hast. Es ist ihm gelungen, eine Art Marke zu erschaffen, die vertrauenswürdig ist. Das ist in letzter Zeit z. B. auch Pixar gelungen. Bei Pixar weißt du nie, wer der Star ist, die machen einfach großartige Komödien. Der Unterschied bei mir ist, ich hab meinen Film für siebeneinhalb Millionen Dollar realisiert.

Welche eigenen Highschool-Erfahrungen haben Sie in die Story eingebaut?

Nun, ich bin selbst viel gelaufen, wie Bleeker, und ich war immer ein Außenseiter, wie es Juno im Film ist. Aber ich habe nie eine Teenagerschwangerschaft durchmachen müssen…von der ich weiß.

Die Läufer kommen ziemlich oft im Film vor…

Ja, das stand im Script und ich habe das noch ein wenig weiter getrieben. Die tauchen immer wieder auf, selbst in Szenen, wo sie eigentlich nicht sein sollten. Ich mochte die Idee, dass die Dinge weiterlaufen, wie im richtigen Leben.

Wie steht es mit dem Verhältnis zwischen Kindern und Erwachsenen in Ihrem Film?

Nun, ich denke, dass der Film weniger von der Schwangerschaft handelt, sondern von dem Moment, erwachsen zu werden. Bleeker ist das Symbol der Unschuld. Mark steht für das Erwachsensein. Juno flirtet, wie viele Teenagermädchen, mit dem Erwachsensein. Sie ist eine 16jährige, die zu schnell erwachsen wird. Mark ist ein weiteres Paradebeispiel: ein 30jähriger, der Angst davor hat, erwachsen zu werden. Vanessa ist ein weiteres interessantes Phänomen: eine 30jährige, die sich nicht erwachsen fühlen kann, bevor sie Mutter wird. Mark und Juno flirten also nicht im verliebten Sinne miteinander, sondern mit der jeweils anderen Seite. Darum geht es am Ende: Juno entscheidet sich für die Unschuld. Am Ende fährt sie Rad, spielt Gitarre mit einem Freund. Das ist für mich die hoffnungsvollste Botschaft des Films: Teenager, die sich dafür entscheiden, ihre Kindheit zu leben, weil sie sich bewusst sind, dass diese Zeit begrenzt ist.

Kann man sich dafür entscheiden?

Ja, das kann man. Es ist nur eine verdammt harte Entscheidung, die man da trifft.

Wann sind Sie erwachsen geworden?

Als ich 16 war. Ich traf mich mit einer Frau, die zehn Jahre älter war als ich und bin mit ihr zusammengezogen. Das hielt sieben Jahre.

Cool.

Nein, ganz und gar nicht (lacht). Verrückt! Vielleicht liegt mir diese Idee deshalb so am Herzen.

Ist es war, dass Ihre Eltern auch ein Kind adoptierten, als Sie noch klein waren?

Ja. Das war interessant. Ich sehe meine Schwester nie als eine Adoptivschwester. Ich erinnere mich an den Moment, als der Sozialarbeiter in unser Haus kam und uns interviewte. Wir machten an diesem Tag eine ähnliche Erfahrung wie im Film. Sobald meine Schwester in unsere Familie kam, haben wir nie darüber nachgedacht, dass sie eigentlich adoptiert ist. Sie ist einfach nur meine Schwester.

Ich habe gelesen, die Fotografien im Treppenhaus, wo alle in weiß posieren, gab es in Ihrem Haus wirklich?

Ja, das stimmt. Das ist so traumatisierend. Schrecklich. Wir machten das mit Jeans, weißen T-Shirts und Ray Bans. Ekelhaft.

Wie hat die christliche Rechte in Amerika auf ihren Film reagiert?

Sie lieben ihn! Ich meine, es ist nicht an mir, den Leuten zu sagen, was sie denken sollen. Ich möchte sie bewegen, zum Lachen bringen. Aber ein Film ist immer ein Spiegel. Man sieht sich selbst darin. Das gleiche passierte bei ‘Thank You for Smoking’. Damals dachten sowohl Liberale als auch Konservative, es sei ihr Film. Ich bin an einem Tag ernsthaft zu zwei gleichzeitig stattfindenden Veranstaltungen eingeladen worden, um dort zu sprechen: ein Pro-Raucher Treffen und eine Sitzung der Lungenvereinigung. Ich habe beides abgelehnt. Ich möchte keine Seite wählen, darum geht es nicht. Was ich persönlich denke, gehört nicht in den Film. Das macht Michael Moore. Wenn man einen roten Faden für meine beiden Filme finden will, dann der, dass man die Menschen nicht beurteilen sollte, dass Menschen ein Recht auf ihre Meinung haben. Deshalb sind meine Filme, glaube ich, so zugänglich. Obwohl die Vorurteile meinen Filmen gegenüber zunächst so groß sind. „Eine Komödie über das Rauchen oder über Teenagerschwangerschaft? Das klingt seltsam.“ Dann gehen sie rein und mögen den Film aus ganz anderen Gründen. Deshalb erreichen meine Filme so viele Menschen.

Wollen Sie im Komödienfach bleiben?

Ja, ich liebe Komödien. Sie bieten einem einen Weg über Dinge zu reden, über die man sonst nicht reden kann. Mit Dramen funktioniert das nicht so gut. Nehmen Sie ‘The Insider’ von Michael Mann. Was sagt der aus? Zigaretten sind schlecht. Okay. Die Tabakindustrie ist böse. Klar. ‘Thank You for Smoking’ darf mehr, weil es eine Komödie ist. Ich mag Humor, der sich mit sensiblen Themen auseinandersetzt.

Jennifer Garner ist eine interessante Wahl…

Ich fand sie immer gut und dachte mir, sie hat nie wirklich die richtige Chance erhalten. Ich habe sie vorgeschlagen für die Rolle, traf sie und sie war perfekt. In diesem Film hat sie wirklich eine Menge Neuland betreten. Es sind viele kleine subtile Dinge, die sie tut.

Wie kam es zur Zusammenarbeit mit Kimya Dawson, einer Indie-Ikone, die den Soundtrack zusammengestellt hat?

Ich war auf der Suche nach einem speziellen Sound des Films, und Ellen Page machte mich mit ihrer Musik bekannt. Es passte einfach perfekt.

Sie arbeiten bei Ihrem neuen Projekt erneut mit Diablo Cody (der Drehbuchautorin von ‘Juno’; die Red.) zusammen. Worum geht es da?

Stellen Sie sich vor, Juno wäre besessen und würde anfangen, ihre Mitschüler zu essen. Ich werde den Film produzieren, das Drehbuch ist von Diablo, und Karyn Kusama, die zuvor ‘Girlfight’ inszenierte, wird Regie führen.

Also hat Ihnen die Arbeit mit Diablo Cody Spaß gemacht?

Ja, ich hab es geliebt. Sie ist außergewöhnlich talentiert, ein wunderbarer Mensch, und wir haben beide denselben tiefschwarzen Sinn für Humor. Es hat wirklich geklickt und ich denke, wir ergänzen uns hervorragend.

Gibt es für Sie eine Grenze, was Humor anbetrifft?

Nicht wirklich. Ich denke, Humor öffnet die Menschen und bringt sie ins Gespräch miteinander, und das ist richtig. Wir müssen miteinander kommunizieren. Es gibt zu viel Zensur und zu wenig Kommunikation. Wenn Filme einen Weg der Kommunikation eröffnen können, dann nur durch Humor.


Ein FILMtabs.de Artikel