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Breathing Earth – Susumu Shingus Traum

BRD, Großbritannien 2012 Regie: Thomas Riedelsheimer 97 Min. Mit einem vom Wind bewegten und bewegenden Porträt des japanischen Künstlers Susumu Shingu setzt Thomas Riedelsheimer seine Reihe quasi synästhetischer Filme wie „Touch the Sound“ oder „Rivers and Tides – Andy Goldsworthy Working With Time“ fort. Eine beglückende Dokumentation, die staunen lässt – angesichts der Wind- und Wasser-Skulpturen des 75jährigen Shingu und der kongenialen Bilder die der Filmemacher als Regisseur, Autor, Kameramann und Cutter dazu findet. Susumu Shingu ist ein weltberühmter Künstler, den die Natur zu verspielten Mobiles inspiriert. Große Architekten wie Renzo Piano lassen ihre Bauten von seinen Skulpturen beleben, weltweit lassen seine Kunstwerke im öffentlichen Raum die Passanten innehalten, Choreographen schätzen seine Bühnenbilder, Kinder mögen seine meisterlich gemalten, phantasievollen Bücher. Und vor allem in der Begegnung Shingus mit Kindern kommt „Breathing Earth“ dem Wesen dieses freundlichen, offenen Japaners nahe. Immer wieder betont er, man müsse sich die Offenheit der Kinder erhalten, um die Welt zu sehen, und immer wieder lösen seine Objekte auf der ganzen Welt kindliches Glücksempfinden aus. Aber Shingu will auch der Kanarienvogel sein, der vor dramatischen Veränderungen der Umwelt warnt, wie es die Vögel früher bei den Bergarbeitern taten. Dabei geht die Poetologie dieses „Leonardo da Vinci des 21. Jahrhunderts“ weiter, wenn er an einem Teich sitzend über den Moment der Rührung sinniert, der eintritt, wenn das Gefühl unserer Lebenszeit mit einem umfassenderen Gefühl der Zeit übereinstimmt. Wind ist für ihn und seine Kunst „das Absolute“, er war schon vor den Menschen da. Während Riedelsheimer solche Ideen einfängt, begleitet der Film Shingu auf seinen Reisen zur Realisierung des ökologischen Kunst-Projekts Breathing Earth. (Dabei fliegt er vom Kansai Airport in Osaka ab, der mit seinen Windsegeln geschmückt ist.) Auch die Zusammenarbeit und das gemeinsame Leben des Paares Susumu und Yasuko darf man miterleben. Sehr persönlich erzählt Shingu von seiner Kindheit, die tragische Geschichte seines Vaters und dessen letzten Wunsch, „Susumu, halt an deinen Träumen fest“. Aber vor allem findet der Film in den besten Momenten Bilder, die ebenso staunen lassen wie die Wind- und Wasser-Spiele Shingus. Zwei Blätter etwa, die aneinandergeschmiegt sich umeinander drehen, nur noch an einem Spinnfaden hängend. Man merkt, dass Riedelsheimer nach der Arbeit mit dem Landart-Künstler Andy Goldsworthy und der fast gehörlosen Percussionistin Evelyn Glennie längst ein Spezialist für das besonders aufmerksame Schauen und Lauschen ist. Er erspürt Gottesgeschenke des Moments wie die Heuschrecke, die als Sisyphos auf einem der Mobile herumkraxelt und es so belebt. Da geht das unvergleichliche Rauschen eines Bambuswaldes über in eine Episode mit Shakuhachi-Flöten aus dem Bambus-Holz, denn selbstverständlich ist in „Breathing Earth“ auch die Musik wieder berauschend und beglückend. Unfreundliche Realitäten werden nicht ausgeblendet. Ausgerechnet ein Taifun zerstört ein Projekt auf japanischen Reisfeldern völlig. Obwohl sie schon mehrfach zusammen gearbeitet haben, bringt er Renzo Piano mit seinem Entwurf für Breathing Earth noch zum ungläubigen Staunen und zum Ausruf „Ein Kind, das sieben mal 10 Jahre alt ist.“ Breathing Earth ist bislang noch nicht realisiert, die Begegnungen mit skeptischen Politikern und Bürokraten sind voll bitterer Komik. Auf einer Mondlandschaft inmitten von Kohlenhalden und Stromerzeugungs-Schloten entwickelt Shingu Visionen vom Besuch eines Außerirdischen – der lokale Abgesandte weist auf das Stadion von Schalke hin. Der finale Frust wird von einem Windfestival mit vielen Menschen bei der doch noch fertig gestellten Reisfeld-Installation aufgefangen, vor einem noch schöneren Schlusspunkt bei Sonnenuntergang am Strand: Am liebsten würde er, meint Shingu, immer am Meer leben und die Skulpturen nur noch für sich und seine Frau machen.


Ein FILMtabs.de Artikel