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Die Wütenden

Frankreich 2019 Regie: Ladj Ly, mit Damien Bonnard, Alexis Manenti, Djebril Zonga, Issa Perica, 102 Min.

Schon die Eröffnungssequenz macht die Parallele deutlich: Eine Menschenmenge vor dem Arc de Triomphe in Paris. Die Tricolore weht vielfach im Wind. Der Nationalstolz wird gefeiert. Eine Momentaufnahme wie aus der Französischen Revolution. Doch die Bilder sind aktuell, von der vergangenen WM vielleicht. Darüber liegt in übergroßen Lettern der Titel: „Les Misérables“. Doch die Parallelen in Ladj Lys Sozialdrama zu Victor Hugos Klassiker gehen tiefer. Da wäre zunächst der Stadtteil Montfermeil vor den Toren der Hauptstadt, in weiten Teilen der Handlungsort von Hugos Werk. Auch 150 Jahre später herrscht dort bittere Armut und soziale Ungerechtigkeit. Regisseur Ly weiß wovon er erzählt, wuchs er doch selbst in Montfermeil auf und war mittendrin in den blutigen Ausschreitungen von 2005, die auch seinen Film inspirierten. Hier ist es der junge Polizist Stéphane (Damien Bonnard), der aus der Provinz in den sozialen Brennpunkt kommt, um dort Dienst zu schieben. An seinem ersten Arbeitstag erlebt er die Spannungen in dem Viertel zunächst vom Rücksitz des Peugeots aus, während ihn seine neuen Kollegen in die Fronten und Verhaltensweisen einführen. Gwada (Djibril Zonga) ist der ruhige Pol, Chris (Alexis Manenti) der Psycho, der überzeugt davon ist, mit harter Hand mehr zu erreichen. Es gibt den selbsternannten Bürgermeister, einen Gangsterboss, der als Sprachrohr für die Gemeinde dient, die Muslimbruderschaft, die im Hintergrund die Strippen zieht. Und dann gibt es die Jungen, Gewaltbereiten, die sich nichts sagen lassen. Solange hier niemand die Nerven verliert, bleibt es ruhig. Doch am Rande des Viertels haben die Roma ihr Lager aufgeschlagen, ein Wanderzirkus. Der junge Issa kommt auf die Idee, ein Löwenjunges zu entführen und entfesselt damit einen Krieg, zwischen dessen Fronten Stéphane und seine Kollegen geraten.
Regisseur Ladj Ly versteht seinen Film als Warnung an die Politik. 15 Jahre nach den schweren Ausschreitungen in den Banlieues hat sich nichts geändert. Eine neue Generation ist herangewachsen. Es ist an der Politik, sich um sie zu kümmern. Ly gelingt ein lebensnaher Einblick in eine Welt abseits des Systems. Ein Mikrokosmos mit eigenen Regeln und Gesetzen, in dem eine Handvoll Polizisten versucht für Ordnung zu sorgen. Ein täglicher Eierlauf, der einen hochspannenden Film ergibt, den Kameramann Julien Poupard in vibrierende Bilder umsetzt. Ein intensiver Film, der unter die Haut geht und Hugos Worte im letzten Akt schmerzhaft ins Gedächtnis ruft: „Merkt Euch, Freunde! Es gibt weder Unkraut noch schlechte Menschen. Es gibt bloß schlechte Gärtner.“


Ein FILMtabs.de Artikel