Das Tagebuch der Anne Frank (2016)
BRD 2016 Regie: Hans Steinbichler mit Lea van Acken, Martina Gedeck, Ulrich Noethen 128 Min. FSK: ab 12
Nach einigen internationalen Produktionen gibt es nun „Das Tagebuch der Anne Frank“ auch als deutsche Verfilmung – siebzig Jahre nach dem Tod der jungen Autorin im KZ Bergen-Belsen. Hans Steinbichlers Film ist eine vorsichtige Produktion für ein junges Publikum, die mit Drehbuch, Regie und Besetzung keinerlei Risiko eingeht. Trotzdem kann der Text zusammen mit der großartigen Hauptdarstellerin beeindrucken.
Der Weg von Schweizer Sommerfrische in Sils-Maria ins nicht mehr freie Amsterdam, dann in eine versteckte Miniwohnung, in der sich die Familie Frank nicht mehr frei bewegen kann. Und am Ende steht das KZ. Anne Franks Weg vom Licht in die Dunkelheit beginnt mit der tragischen Fehleinschätzung ihres Vaters Otto Frank (Ulrich Noethen), Holland sei genau so sicher wie die Schweiz, nur eben näher bei den Verwandten in Aachen und Frankfurt.
In Amsterdam müssen die Franks den gelben Juden-Stern tragen, aggressive junge Mitglieder des faschistischen NSB verjagen jüdische Mädchen vom Strand. Als Annes ältere Schwester Margot deportiert werden soll, zieht die Familie 1942 in ein lange vorbereitetes Versteck über der Fabrik von Freunden. Richtig mühsam, eng und menschlich unangenehm wird es in den 50 Quadratmetern, als die laute und ungehobelte Familie van Daan einzieht. Die Spannungen nehmen zu auf engem Raum mit unausweichlichen Reaktionen der anderen. Doch die Franks behalten während der zwei Jahre im Verlies ihren Humor, beschreiben ihre Unterkunft als „waldfreie Lage mit fließend Wasser an verschiedenen Wänden, fett-freie Nahrung“. Als Anne 13 Jahre alt wird, beginnt sie ihr Tagebuch, das sie mit „Liebe Kitty“ anspricht.
Vor allem wenn Anne ihr Tagebuch teilweise direkt in die Kamera spricht, beeindruckt die selbstbewusste Weltsicht dieses jungen Mädchens. Eines neugierigen Mädchens, das in diesen beengten Verhältnissen mit stark eingeschränktem Personenkreis ihr sexuelles Erwachen erlebt. Und das auch 70 Jahre später überhaupt nicht von gestern wirkt. Das oft selbstgerechte Mädchen nennt die Eltern Pim und Mansa, wobei der Vater Pim alle Sympathien bekommt und ein krasser Konflikt mit der Mutter (Martina Gedeck) eskaliert. Anne Frank entwickelt im Tagebuch ihre eigene Theodizee zum Leiden des jüdischen Volkes, das sie als auserwählt für die Zukunft ansieht.
Die starke Wirkung ist ein Verdienst auch der 17-jährigen Lea van Acken, die bereits 2014 in Dietrich Brüggemann „Kreuzweg“ als religiöse Jugendliche Maria beeindruckte. Ihre Anne Frank ist enorm gut gespielt und gesprochen, lenkt ab von den schwachen Interpretationen der üblichen Verdächtigen Martina Gedeck und Ulrich Noethen als Annes Eltern. „Das Tagebuch der Anne Frank“ wurde vom verdienstvollen Fred Breinersdorfer zum Drehbuch umgeschrieben, entfernt sich zum Glück von Breinerdorfers Schema bei „Elser – Er hätte die Welt verändert“ (2014) und „Sophie Scholl – Die letzten Tage“ (2005). Regisseur Hans Steinbichler begann seine Karriere mit den sehr bemerkenswerten Filmen „Winterreise“ (2006) und „Hierankl“ (2003), hält sich jedoch hier mit einer braven und unspektakulären Inszenierung zurück. Aber selbst die sehr penetrante Musik sowie eine überzogene Filmlänge können den Eindruck nicht beschädigen, den dieses Vermächtnis des klugen jüdischen Mädchens macht.
Ein FILMtabs.de Artikel
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- Publiziert von:
- Günter H. Jekubzik, 28.02.2016 / 9:30
- Rubrik:
- Berlinale 2016, Kritiken GHJ
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