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The Whale

USA 2022, Regie: Darren Aronofsky, mit Brendan Fraser, Sadie Sink, Ty Simpkins, 117 Min., FSK: ab 12

Mit zwei Oscars ausgezeichnet berührt das gemeinsame Comeback von Schauspieler Brendan Fraser und Regisseur Darren Aronowsky: Es ist ein schockierender Anblick: Extrem übergewichtig sitzt der Literatur-Dozent Charlie (Brendan Fraser) in seiner düsteren Wohnung. Er kann sich kaum alleine aus seinem Sessel erheben, zur Fortbewegung braucht er eine Gehhilfe. Gegen Panikanfälle rezitiert er immer wieder einen Text über Moby Dick. Der scheint ein letzter Halt im Leben zu sein. Frustriert frisst er auf abstoßende Weise und erstickt fast an einem Sandwich. Wieder einmal rettet ihn seine aufopferungsvolle Pflegerin Liz (Hong Chau), die eine besondere Verbindung zu ihm hat. Sie weiß, dass sein Blutdruck mörderisch hoch ist, trotzdem geht er nicht ins Krankenhaus, obwohl er das Geld dafür auf dem Konto hätte. Doch das hält er heimlich für seine Tochter Ellie (Sadie Sink) zurück, die er nach neun Jahren erstmals wieder sieht. Er schlägt der sehr wütenden und abweisenden den Deal vor, gegen Geld gemeinsam Zeit zu verbringen und ihr mit der Schule zu helfen.

Charlies schwer rührender Versuch, wieder eine Beziehung zu seiner Tochter aufzubauen, ist das Herz von „The Whale“. Doch nur zu sagen, dass er einen letzten Versuch unternimmt, sich nach langer Zeit mit seiner Tochter zu versöhnen, würde den Film reduzieren. Zu komplex ist diese Familiengeschichte. Denn der Dozent verließ damals seine Frau wegen eines jungen Studenten. Die Tochter war acht Jahre alt. Dass der Kontakt zu ihr abbrach, hatte mehrere Gründe. Charlies Mann wiederum kam aus einer extrem religiösen Freikirchen-Familie und brachte sich schwerkrank um. Ein Verlust, den Charlie nur durch seine exzessive Esserei ertragen kann. Und ausgerechnet ein junger Missionar dieser Sekte klopft an seine Tür.

Die Story von „The Whale“ zeigt die gleiche Gnadenlosigkeit wie der extrem heftige und ergreifende Drogen-Albtraum „Requiem for a Dream“ (Regie, Drehbuch, Schnitt und Cameo-Auftritt), Regisseur Darren Aronowskys erstem Erfolg aus dem Jahr 2000, nachdem „Pi – Der Film“ (1997) schon eingeweihte Kreise begeisterte. Mit dem esoterischen Historienfilm „The Fountain“ (2006) ging es auf der Suche nach dem Quell der Jugend thematisch und vom aufwändigen Stil her in eine ganz andere Richtung. Konstant blieb ein Sonderling im Kern der Geschichte, auch bei „The Wrestler“ (2008). Der Wrestling-Film war mit einer persönlichen Tour de Force ein kurzes Comeback für Mickey Rourke. 2010 folgte mit „Black Swan“ und Natalie Portman Aronowskys bislang erfolgreichster Film. Die Welle der Popularität brachte ihm den mit Russell Crowe prominent besetzten und wenig interessanten „Noah“ (2014) ein. Erst mit dem irre klaustrophobischen „Mother!“ (2017) kehrte der Filmemacher wieder zu herausfordernden Stilen und Geschichten zurück. Jennifer Lawrence als Mutter und Javier Bardem als Dichter liefern sich einen horrenden Beziehungskampf bis aufs Blut.

Nach sechs Jahren Pause, in denen Aronowsky hauptsächlich als Produzent arbeitete, steht nun wieder ein extremer Einzelgänger im Zentrum einer Familiengeschichte, die entfernt an die Vater-Tochter-Konstellation aus „The Wrestler“ erinnert. Auch das gefeierte Comeback vom ehemaligen Komödianten Brendan Fraser, der in den 90ern seinen Karriere-Höhepunkt mit einfachen und affigen Filmchen wie „Die Mumie“ (1999) und „George – Der aus dem Dschungel kam“ (1996) hatte, ist ähnlich. Allerdings zeigte Fraser schon in Bill Condons genialem „Gods and Monsters“ als Gärtner von James Whale, dem Regisseur des Films „Frankenstein“, eine andere Seite. Nun ist er mit wiedererkennbarer Mimik selbst „The Whale“, der massive Körper des „Wals“ wird öfter nackt gezeigt. Hier ist der Grund für den zweiten Oscar – neben dem für Frasers eindrucksvollem Schauspiel – zu bewundern: Die Maske mit dem immensen „fat suit“ ist zu keinem Moment als solche erkennbar. So bleibt der Fokus auf die herzzerreißende Tragödie eines Mannes mit unheilbar gebrochenem Herzen, der verzweifelt einen Weg sucht, der abweisenden Tochter seine Liebe zu zeigen.

„The Whale“ ist ein beklemmendes Kammerspiel in dunkler, übervoller Wohnung. Das klassische Normalformat engt alles noch mehr ein. Helles Licht spart sich die Kamera von Matthew Libatique für einen besonderen Moment auf. Ein Moment, der nach einem Strudel der Gefühle, nach schweren Geständnissen, nach Abweisung und Versöhnung niemanden ungerührt lassen wird. Trotz und wegen des typisch abgehobenen Aronowsky-Touches.

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Ein FILMtabs.de Artikel