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Die Ausgrabung / Netflix ab 29. Januar

Auf Streaming-Kanälen findet sich durch Corona-Produktionsprobleme vermehrt ausgegrabener Kram, quasi Zombies der Filmproduktion, die Tageslicht scheuen sollten. Der großartige Spielfilm „Die Ausgrabung“ um die historische Entdeckung eines Bootsgrabes der Anglosachsen in Sutton Hoo ist hingegen ein bildgewaltiges und erzählerisch feinfühliges Meisterwerk, das eigentlich eine größtmögliche Leinwand verdient.

Trauer um die Gefallenen des letzten Krieges liegt noch schwer auf den Menschen, da kündigt sich schon der nächste an. 1939 bittet die wohlhabende Witwe Edith Pretty (Carey Mulligan) den Amateurarchäologen Basil Brown (Ralph Fiennes), sich die deutlich sichtbaren Grabhügel auf ihrem Landgut in der Nähe von Ipswich zu untersuchen. Es dauert etwas, bis sie sich über korrekte Bezahlung und den besten Hügel zum Anfangen einigen, denn beide sind eigenwillige Charaktere. Die alleinerziehende Mutter Edith Pretty lässt sich zurückgezogen auf ihrem traumhaften Landgut von Diener und Köchin bewirten. Eine Krankheit macht sie noch verschlossener. Ursprünglich wollte sie schon mit ihrem Ehemann das Geheimnis der Grabhügel aufdecken. Dann ist dieser als Offizier gestorben.

Der alte Basil Brown fristet sein Leben als unterbezahlte und wenig anerkannte Hilfskraft für Profi-Archäologen. Doch kenntnisreich dringt er zum Geheimnis des größten Hügels vor. Während über ihnen immer mehr Kriegsflugzeuge zum Kanal fliegen, kämpfen sie gegen Erdrutsche und Überschwemmungen mit der knappen Zeit, die ihnen vor drohendem Kriegsausbruch bleibt.

Zeit ist immer Thema, wenn Archäologie im Spiel ist. Die nationalistische Begeisterung für den historisch sensationellen Fund der anglosächsischen Grabstätte von Sutton Hoo weicht einer universalen Faszination über Rituale und das Leben im 7. Jahrhundert. So alt ist die mit Schmuck und Waffen reich ausgestattete Grabkammer in dem Schiff, das aufwändig an Land geschleppt wurde.

Vorsichtig legt der Film nach John Prestons Roman persönliche Geschichten mit Bezug zum historischen Bootsgrab frei: Dieses bedeutet für jeden der Beteiligten etwas Besonderes. Basil bekommt endlich die Chance einer Anerkennung seiner Fähigkeiten, weiß aber, dass „wir alle scheitern werden“. Der mit der Krankheit der Mutter überforderte kleine Sohn von Mrs. Pretty, träumt sich in einem Raum-Schiff in die Zukunft. Peggy Preston (Lily James), die das erste Stück Gold entdeckte, landete zuerst nur als Anhängsel ihres heimlich schwulen Ehemannes bei der Ausgrabung. Sie wird generell als (zu) leicht empfunden. Vom arroganten späteren Leiter der Arbeiten, Charles Phillips vom British Museum, wird sie nicht wegen ihrer archäologischen Forschungen, sondern nur wegen ihres geringen Gewichts auf die empfindliche Grabstätte gelassen. Wie sie das emotionale Drama mit einem lieblosen Mann, der in Sotton Hoo seinen eigenen Schatz entdecken wird, meistert, zeigt bewegende menschliche Größe. Stille Größe ist eine verbreitete Eigenschaft in dieser Geschichte – bei Haupt- und Nebenfiguren.

„Die Ausgrabung“ ist eine Feier des richtigen Lebens im Angesicht von Tod und des Mahnmals der Vergänglichkeit. Das in jeder Hinsicht gelungene Drama erzählt nebenbei über Kriege und Krieger aus unterschiedlichen Epochen. Der berührende Film fasziniert vor allem mit wunderbarer Kameraarbeit (Mike Eley) – die Wiesen und Felder rund um Sutton Hoo erinnern stark an die Ästhetik Terrence Malicks („The Tree of Life“, „Ein verborgenes Leben“). Passend dazu die Musik, die oft als Montage-Klammer den Originalton überlagert und zurückhaltend von Gefühlen erzählt.

Carey Mulligan („Suffragette – Taten statt Worte“, „Der große Gatsby“) spielt ebenso unprätentiös wie Ralph Fiennes, dem der Charakter des lange vergessenen Basil Browns wichtiger erscheint als das Wiedererkennen des Stars aus „Der englische Patient“, „Spectre“ oder „Grand Budapest Hotel“.

Erstaunlich an dieser Entdeckung: Keiner der Beteiligten, die hinter der Kamera so exzellent gearbeitet haben, war bisher groß bekannt. Weder Regisseur Simon Stone, noch Komponist Stefan Gregory, dessen Musik den Violinen Raum gibt und symphonisches Geschepper vermeidet. Nur Autorin Moira Buffini, die das Drehbuch zusammen mit dem Romanautor schrieb, hat mit „Der Stern von Indien“ (2017, Regie: Gurinder Chadha), „Jane Eyre“ (2011, Cary Joji Fukunaga) und „Immer Drama um Tamara“ (2010, Stephen Frears) bemerkenswerte Filme mitentwickelt.

„Die Ausgrabung“ (The Dig, GB 2020), Regie: Simon Stone, mit Carey Mulligan, Ralph Fiennes, Lily James, Johnny Flynn, Ben Chaplin, 122 Min., FSK: keine Angabe


Ein FILMtabs.de Artikel