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Hillbilly Elegy / Netflix

Die erste Kamera-Fahrt entlang heruntergekommener Hütten, begleitet von alten Familienfotos zeigt die Heimat von J.D. Vance (Gabriel Basso). Der angehende Jurist aus den hügeligen Appalachen in Kentucky, wo die verachteten „Hillbillys“ (Hinterwäldler) wohnen. Diese Herkunft bedeutet für ihn drei Generationen schwieriger Familiengeschichte mit Gewalt und Drogen. Bei der Großfamilie, die nach außen immer zusammenhält, fällt direkt die unvorteilhafte Kleidung auf. Und das riesige Kassengestell von Oma Mamaw (Glenn Close), das über Jahrzehnte gleich eindrucksvoll im Bild bleibt. Der Revolver in der Handtasche wird nicht gebraucht, das scharfe Mundwerk ist ihre beste Waffe.

Jetzt ist J.D. Vance (Gabriel Basso) nach einer Militär-Karriere Jurastudent im elitären Yale. Ein Aus- und Bildungsweg, der trotz Stipendien mehr als 20.000 Dollar pro Jahr kostet. Mit der Unterstützung seiner aus Indien stammenden Freundin hat er bei einem exklusiven Dinner die Chance auf einen Studienjob bei einer Anwaltskanzlei. Während der „Hinterwäldler“ mit der Wein-Wahl, den vielen Messern und Gabeln schon überfordert ist, erreicht ihn ein Anruf von zuhause: Seine suchtkranke Mutter Bev (Amy Adams) liegt nach einer Überdosis im Krankenhaus. Bei der nächtlichen Fahrt erinnert J.D. sich an eine haltlose Kindheit zwischen unzuverlässiger Mutter, die ihn schon mal umbringen wollte, und verrückter Oma, die einst ihren gewalttätigen Ehemann anzündete.

Dramatisch baut „Hillbilly Elegy“ auf eine persönliche Geschichte von immer wieder heftigen Schicksalsschlägen. Bis zur finalen Entscheidung: Bleibt J.D. bei der Mutter, die ihn so oft enttäuscht hat, die keine Klinik zum Entzug findet und sich bei erster Gelegenheit direkt einen Schuss setzt? Oder fährt er wieder zehn Stunden zurück zum nicht verschiebbaren Vorstellungstermin am nächsten Morgen? J.D., der nette Junge, der eine angefahrene Schildkröte rettet, um daraufhin von anderen Hillbillys verprügelt zu werden, bekommt alle Sympathien, man wünscht ihm nur das Beste.

J.D. Vances Biografie „Hillbilly-Elegie: Die Geschichte meiner Familie und einer Gesellschaft“ wurde vor vier Jahren als Trump-Erklärbuch rumgereicht: Intellektuelle versuchten beim Lesen zu verstehen, was das denn für Leute sind, die diesen Vollidioten wählen. Dass der Weg von J.D. aus den Wäldern und dem sozialen Elend als Erfolg eines Einzelkämpfers ein neoliberales Märchen darstellt, fiel nur am Rande auf. Die Verfilmung von Oscar-Preisträger Ron Howard verstärkt allerdings diesen unangenehmen Grundton: Der Film „Hillbilly Elegy“ konzentriert sich auf die vielen persönlichen Dramen und stellt das Gesellschaftliche in den Hintergrund. Zu wenig Pflegeeinrichtungen, unterbesetzte Krankenhäuser, privatisiertes Gesundheitswesen, Bildung nur für Reiche. Das sind die Dinge, die auch dieser Familie das Leben schwer machen. Ein Film könnte zu politischem Engagement für die Schwächeren motivieren. Dieser tut es nicht.

Das durchgehende Bangen, ob der „gute Junge“ seine Wut bezwingen und seine Chance wahrnehmen kann, wurde von Ron Howard handwerklich überzeugend und ansehnlich in der fließenden Montage aus Erinnerungen und Gefühlen inszeniert. Die drei Generationen von Versagen und Schuld sind mit Glenn Close und Amy Adams eindrucksvoll gespielt. Manchmal macht sich „Hillbilly Elegy“ sogar einen Spaß aus dem Elend und Verschrobenheit, vor allem mit der Oma-Rolle von Close. Doch der Ärger über eine eingeschränkte neoliberale Weltsicht überwiegt bei Sehen.

„Hillbilly Elegy“ (USA 2020), Regie: Ron Howard, mit Amy Adams, Glenn Close, Gabriel Basso, 116 Min., FSK: ab 16


Ein FILMtabs.de Artikel