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Jud Süß – Film ohne Gewissen im Wettbewerb der Berlinale
Berlin. Nachdem „Shahada“, der deutsche Episodenfilm von Burhan Qurbani über drei junge Muslime in Berlin, deren Werte und deren Glaube im Laufe ihrer Geschichten ins Wanken geraten, das Publikum mit einem Overkill an Problemen überforderte, erfolgte gestern die diffizielle Konfrontation mit deutscher Film- und NS-Geschichte: In „Jud Süß – Film ohne Gewissen“ verfolgt Regisseur Oskar Roehler das Schicksal von Ferdinand Marian (Tobias Moretti). Der Schauspieler übernahm 1940 die Titelrolle in Veit Harlans NS-Propagandafilm „Jud Süß“, in der er brillierte und an der er zerbrach. Vereinzelte, aber entschiedene Buhrufe bestimmten die Pressevorführung.
Schon während der Dreharbeiten zu dem Lieblingsprojekt von Josef Goebbels (Moritz Bleibtreu) spitzt sich die Situation in Marians Umfeld zu. Der Schauspieler, der auf den großen Durchbruch hofft, gibt immer mehr Freunde und Positionen auf. Seine Frau spürt die Gefahr stärker. Sie wird aber als „Viertel-Jüdin“ benutzt, um Marian zu erpressen. Hier gehört der Film uneingeschränkt dem dämonischen Goebbels, dessen Lautstärke immer in Richtung Reichsparteitag tendiert, der aber auch, wenn er seine Maske fallen lässt und Marian einmal direkt zusammenstaucht, für Gänsehaut sorgt.
Der nationale und internationale Erfolg von „Jud Süß“, der sogar vom jungen Michelangelo Antonioni eine positive Kritik erhält, ist nur ein kurzer Rausch. Bei einer Tour durch die Ostgebiete sieht der gebrochene und saufende Schauspieler an der Baustelle für Auschwitz wie sein Film wirkt. Den weiteren Niedergang verfolgt der Roehlers Film im holperigen Schnelldurchgang. Das Ende Marians nach dem Krieg ist nur noch eine Szene lang: Eine letzte Begegnung mit dem ehemaligen jüdischen Kollegen Wilhelm Adolf Deutscher, der Getto und KZ überlebt hat und dem Marian versprach, „Jud Süß“ würde kein Propaganda-Film werden. Am nächsten Morgen bringt sich Marian mit seinem Auto um.
Oskar Roehler hat nicht die besten Erinnerungen an den Berlinale-Wettbewerb.. „Elementarteilchen“, seine Adaption des Romans von Michel Houellebecq, lief hier 2006 und wurde zerrissen und auch sein „Jud Süß – Film ohne Gewissen“ wird kein Festival-Erfolg. Roehler zeigt sich immer wieder eigensinnig. „Die Unberührbare“ machte ihn 2000 richtig bekannt. Den Nachfolger „Suck my Dick“ hat kaum jemand gesehen. Sich mit dem Nazi-Film zu beschäftigen ist immer eine Gradwanderung. In einem Interview bewegte sich Roehler in seiner Einschätzung zu „Jud Süß“ parallel zu den Argumenten, die auch Regisseurin Leni Rieffenstahl begleiteten. Politisch sei das ganze schon problematisch, aber ästhetisch herausragend …!
Doch nicht so sehr der immer noch verbotene Film „Jud Süß“ als die Figur des Marian interessierte Roehler. Ganz wie „Mephisto“ (nach dem verbotenen Roman von Klaus Mann), die umstrittene Biographie des theatralischen Mitläufers Gustaf Gründgens. Und wie Gründgens finden viele andere unrühmliche Figuren der NS-Film-Geschichte Erwähnung. Viele Szenen bringen den furchtbaren und menschenverachtenden Antisemitismus auch emotional auf den Punkt. Der Wahnsinn soll dann aus dem Bild springen, wenn sich die Frau eines Lagerkommanten als „Perversion“ im Feuerglanz einer Bombennacht vom Juden Süß Oppenheimer begatten lässt, gespielt durch Marian. Das Licht, die Besetzung, das gute Schauspiel, die expressionistische Schatten. Stilistisch ist Roehler exzellent, aber eine durchgehende Atmosphäre des Terrors und des Schrecken, etwa wie in „Das weiße Band“, entsteht nicht.
Moritz Bleibtreu mit rheinischem Dialekt ist spannend überzogen. Er gibt dem Affen Goebbels Zucker und landet irgendwo bei Helge Schneider und dessen Hitler-Parodie. Eine Art Anti-Walz. Was der mit feinen Nuancen in „Inglorious Basterds“ kreiert, macht Bleibtreu laut. Tobias Moretti überzeugt, aber die tragischen Figuren und Geschichten haben andere. Etwa Hans Moser, der vergebens für seine jüdische Frau bettelt. Und dann dieser aufrechte Jude Deutscher, der durch die Hölle gegangen ist. Ein Höllenritt wird dieser Berlinale-Auftritt auch für Roehler, der zu sehr das Drama einer Person erzählen will und für das Drama zig Millionen ermordeter Juden ein paar Zeilen im Abspann übrig hat.
Ein FILMtabs.de Artikel
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- Publiziert von:
- Oliver Schiffers, 18.02.2010 / 2:55
- Rubrik:
- Berlinale 2010, Kritiken
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