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Jupiter’s Moon

Ungarn, BRD, Frankreich 2017 (Jupiter holdja) Regie: Kornél Mundruczó, mit Merab Ninidze, Zsombor Jéger, György Cserhalmi 129 Min. FSK ab 12

Das Wunderkind des ungarischen Films sorgte in Cannes wieder für Aufregung, weil sein neuer Film völlig und fantastisch abhebt: Kornél Mundruczós „Jupiter’s Moon“ lässt eine Wunder- und Glaubensgeschichte durch osteuropäisches Flüchtlingsdrama schweben. Ein atemberaubendes und einzigartiges realistisches Kinomärchen.

Schon der Vorspann gibt sich bedeutungsschwanger: Unter den vielen Jupiter-Monden ist einer, auf dem könnte es Leben geben – Europa! Wie es in Europa tatsächlich aussieht, zeigen die nächsten hektischen, atemlosen Szenen. Flüchtlinge versuchen in der Nacht über einen Fluss von Serbien nach Ungarn zu kommen. Wie Hühner im Käfig werden sie rangekarrt, die ungarischen Polizisten schießen zur Begrüßung in Europa direkt auf sie. Es trifft den jungen Syrer Aryan (Zsombor Jéger) in die Brust. Doch statt zu fallen, steigen erst seine Schnürsenkel, dann Blutstropfen in die Höhe. Bald schwebt Aryan hoch über dem Chaos aus Flüchtenden und Jägern. Die fliegende Kamera wirbelt um ihn und ein abgehobener Kinorausch entsteht.

Auch im weiteren Verlauf von Aryans ungarischem Abenteuer wechseln harsche Realitäten mit atemberaubend wunderbaren, traumhaften Bilder. Der Junge wird vom Arzt Gabor Stern (Merab Ninidze) aus dem Flüchtlingslager gerettet. Nachdem einer seiner Patienten starb, verdient dieser sich mit Bestechungsgeldern auch von Flüchtlingen Bündel von Scheinen. Das Geld soll ihm bei den Verwandten des Opfers Vergebung und letztlich seinen alten Job im Krankenhaus erkaufen. Als guter Kapitalist macht sich Stern sofort an die Verwertung des Wunders Aryan, lässt sich für die vermeintlich wunderheilende Flugnummer viel zahlen. Dem Jungen verspricht er die Flucht aus Ungarn und dessen Vater zu finden.

Stern ist kein schlechter Kerl, die Verzweiflung macht ihn zum schwitzenden, korrupten Opportunisten. Ansonsten zeigt er sich als stolzer Mann mit Prinzipen. Selbst wenn er sich bestechen lässt. Arrogant sei er und unbeliebt. Glaubt an nicht viel, an Gott schon mal gar nicht. Der Ungläubige muss nun ein Wunderkind miterleben, einen Heiler. Wie schon 2005 in „Johanna“ seinem ersten in einer Reihe wunderbarer Filme arbeitet der geniale Kornél Mundruczó mit diesem gelblichen, frühen Lars von Trier-Licht. Damals wurden die Wunder Johanna grausamen heimgezahlt, ebenso wie das Liebes-Glück im „Delta“ (2008) der Donau von barbarischen Bauern zerstört wurde. Nach „Tender Son: Das Frankenstein Projekt“ (2010) behandelte zuletzt „Underdog“ (2014) das Bestialische im Menschen und war umstritten.

Genau wie „Jupiter’s Moon“ 2017 in Cannes. Dabei ist er ungeheuer spannend in mehrfacher Hinsicht. Der Flucht-Thriller wirft uns mitten in chaotische Zustände des Flüchtlingslagers, immer ruhelos durch die sehr agile Handkamera. Wir bekommen erschreckende Einsichten in den Umgang und die Geschäfte mit furchtbar behandelten Flüchtlingen. In Lügengeschichten der Regierungen müssen die Opfer fälschlicherweise sogar als Attentäter herhalten.

Das deutliche Statement zur aktuellen Politik in osteuropäischen Ländern (wobei der Osten schon in Österreich anfängt), erhält durch die wundersame Fähigkeit Aryans ein weitere Dimension. Es ist tricktechnisch eigentlich simpel gelöst, aber in der Wirkung gigantisch, wie er die Welt eines Faschisten samt dessen Wohnung buchstäblich auf den Kopf stellt. Nebenbei ist das Schweben ganz praktisch für eine Flucht vor der Polizei aus dem Hochhaus. Doch nicht nur weil „Jupiter’s Moon“ am Ende in einem Schwebezustand verharrt, liefert Mundruczó keine Antworten, keine „Aussage“. Dafür einen unvergleichlichen Film, ein einzigartiges Kinoerlebnis.


Ein FILMtabs.de Artikel