« | Home | »

Loro – Die Verführten

Italien, Frankreich 2018 (Loro) Regie: Paolo Sorrentino, mit Toni Servillo, Elena Sofia Ricci, Riccardo Scamarcio, Kasia Smutniak 157 Min. FSK ab 12

Das vorerst letzte Zucken von Silvio Berlusconi als Farce, als Trauerspiel. Oscar-Preisträger Paolo Sorrentino („La Grande Bellezza“, „Ewige Jugend“, „Il Divo“) nähert sich mit grellen, hart und schnell geschnittenen Party-Szenen wieder dem politischen Verfall Italiens. Sein Lieblings-Darsteller Toni Servillo gibt Berlusconi als ebenso gefährliche wie absurde Witzfigur, jedoch ohne ihn zu entmenschlichen. Als Kunststück und Meisterwerk zeigt „Loro“ den moralischen Offenbarungseid der Politik und Zeitgeschichte als beklemmende Party im großartigen Stile Sorrentinos.

Es ist der kleine Gauner Serfio Morra (Riccardo Scamarcio), über den wir uns Berlusconi nähern, denn der tritt erst nach 45 Minuten Film auf. Serfio verschafft sich mit Gratis-Koks einen Stall williger, junger Frauen und verführt mit ihnen alte Politiker. Er hasst seinen Vater, weil der ehrlich und sein Leben anstrengend ist. Berlusconi hingegen verehrt er und will in Rom die Nähe von „Ihm“, vom ehemaligen Ministerpräsidenten suchen. Mit einem atemberaubenden Crash eines Lasters und dem folgenden Müll-Regen in Zeitlupe geht es in einem genialen Schnitt zu einem Regen von MDMA-Pillen in der Villa Morena auf Sardinien. Gegenüber der von „Ihm“ gelegen. Orgiastische Dauer-Party ist angesagt, nur um den Nachbarn Silvio zu interessieren.

Es ist atemberaubend, was Paolo Sorrentino in einzelne Sequenzen hineinlegt, riesige Party-Tableaus mit meist nackten Statisten, welche die italienische Gesellschaft aufs schärfste analysieren. Er macht sich in Bildern mit großer Symbolkraft zum Hieronymus Bosch des 21. Jahrhunderts. Dass hier tatsächlich ein politischer Skandal mit Mafia-Einfluss stattgefunden hat, wird nicht erklärt. Die sexuellen Auswirkungen von LSD dagegen in einem wissenschaftlichen Vortrag, wobei die politische Macht als das ultimative Aphrodisiakum erscheint. Sorrentino blickt unverschämt auf unverschämte Politik mit ihrer Korruption und Prostitution, auf die hemmungslose Fleischbeschau, die das italienische Fernsehen als normal betrachten lässt.

Nach einer irre surrealen Eröffnungsszene in der Berlusconis Villa, wo ein Schaf mittels Spieleshow und Klimaanlage zu Tode gefroren wird, zeigt der zweite Teil wesentlich ruhiger dann das Psychogramm des Show-Politikers. Aber Sorrentino kann auch ruhig, wie er bei „La Grande Bellezza“ bewiesen hat. Trotz aller Monstrositäten bleibt der Protagonist ein Mensch, ein Charakter. So kann „Loro“ mit Berlusconi all die anderen Politiker verurteilen, die nur für sich selbst und nicht für das wohl des Landes handeln.

Während Berlusconi sich mit Stimmenkauf wieder zum Ministerpräsidenten macht, als Vereinspräsident Fußball-Spieler abwirbt, die schwere Scheidung mit Veronica Lario (Elena Sofia Ricci) nicht vermeiden kann und immer wieder eine seiner berüchtigten Gesangseinlagen gibt, schafft es der großartige Toni Servillo hinter dem debilen Dauergrinsen (und dicker Maske) einen Mensch mit Gefühlen zu zeigen. Der ist immer noch der alte Immobilien-Verkäufer, der abends wahllos Menschen anruft und ihnen anonym Wohnungen verkaufen will. Es ist erschütternd, wie nah dieses Zerrbild an der Realität bleibt, und wie selbstverständlich dies alles in der Realität hingenommen und sogar gefeiert wurde. Sorrentino hingegen setzt das fruchtbare Erdbeben von L’Aquila direkt wie einen Fluch hinter die neuerlichen Vereidigung Berlusconis. Das ist eine andere, eine virilere, schärfere und sensiblere Berlusconi-Abrechnung als Nanni Morettis „Il Caimano“. Und ein grandioser Film. Der mit 160 Minuten als die internationale Kino-Kurzfassung zu sehen ist. In Italien gab es zwei Teile von 100 Minuten!


Ein FILMtabs.de Artikel