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Freiheit

BRD, Slowakei 2017 Regie: Jan Speckenbach mit Johanna Wokalek, Hans-Jochen Wagner, Inga Birkenfeld, Andrea Szabová, Ondrej Koval 100 Min.

Das Beschauen von Bildern löst etwas aus – im besten Falle. So auch bei Nora (Johanna Wokalek), die nach der Ansicht von ein paar Caravaggios in Wien ziellos mit einem Bus bis zur Endstation fährt, sich von einem Klein-Casanova abschleppen lässt und dann ganz altmodisch rüber nach Bratislava trampt. Ihr unbestimmtes Ziel stellt sich langsam heraus: Nur weg!

Freiheit steht in Großbuchstaben auf der Leinwand. Doch so einfach ist es nicht mit ihr. Das reflektiert der außergewöhnliche Film auf verschiedene Weisen, inhaltlich und formal: Am Anfang spiegelt die Seite des Busses, in dem Nora ziellos fährt, die Außenwelt nahezu ununterscheidbar. Und dann der große Clou des Films, der sich nicht mit der Beobachtung eines für sich banalen Ausbruchs zufrieden gibt. Noras Ehemann muss parallel plötzlich Kinder und Karriere ausbalancieren. Sein aktueller Fall eines fremdenfeindlichen Schlägers erfährt neue Dimensionen. Während der Anwalt mit sozialem Gewissen immer öfter ausrastet, scheint Nora im ungebundenen Leben ganz bei sich zu sein.

Nun ist „Freiheit“ kein Caravaggio, der zweite Spielfilm des Berliner Regisseurs Jan Spreckenbach nach „Die Vermissten“ bewegt aber durchaus etwas. Die schon im Titel angekündigte Freiheit wirkt zuerst wie Berliner Schule – viel erklärt wird nicht, wir können auch ganz bei Nora sein. Wohlgemerkt nicht bei ihren Emotionen eher bei den Abläufen und Wegen. Die sie in eine Erotik-Bar führt und dann – wie auf die andere Seite eines Spiegel – wieder an einen Familientisch. Nur in anderer Position.

Doch die Strenge wird mehr und mehr aufgebrochen. Es wird spannend, als ihr Ehemann Philip in einer Talkshow wegen Noras Verschwinden und vermutlicher Verbrechen befragt wird. Als er mit seiner Kollegin schläft, schwebt Noras Gesicht über ihm und es folgen noch weitere Überraschungen. Die zwei Seiten des Rätsels um ein Verschwinden sind raffiniert konstruiert. So sehen wir den Anfang erst am Ende. Es sind die letzten Stunden in Job und Familie von Nora, bevor sie „Zigaretten holen geht“ und nicht wiederkommt.

„Bevor die Seelen der Verstorbenen wiedergeborenen werden, müssen sie aus dem Fluss Lethe trinken, um ihre Vergangenheit zu vergessen“, lautet der den Film prägenden Satz im Vorspann. Und der Vorname verweist überdeutlich auf Ibsens „Nora“, eine andere Frau, die den Ausbruch aus ihrem „Puppenheim“ versuchte. So was aus Deutschland zeigt man gerne auf Festivals, oft kommt es nicht beim Kino-Publikum an. Doch „Freiheit“ nimmt sich die Freiheit, leicht und mit Humor zu erzählen. Eine packende Bildgestaltung hebt „Freiheit“ von gleich gerichteten Geschichten ab. Johanna Wokalek („Der Baader Mainhof Komplex“, „Barfuss“) gehört sowieso zu den Schauspielerinnen, denen man von der Terroristin bis zur Päpstin alles abnimmt.


Ein FILMtabs.de Artikel