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Mitte Ende August

Mitte Ende August
BRD 2008 (Mitte Ende August) Regie: Sebastian Schipper mit Marie Bäumer, Milan Peschel, Anna Brüggemann, André Hennicke, Gert Voss 93 Min.

Die gemeinsame Wohnung – ein großer Schritt. Das eigene Haus – ein Abenteuer. Vor allem für diese beiden Vertreter der Generation, die es der Werbung immer noch nicht glaubt, dass Miete zahlen furchtbar spießig sein soll. Hanna (Marie Bäumer) und Thomas (Milan Peschel) sitzen giggelnd beim Notar, die halbwegs schicken Klamotten sehen mehr nach Verkleidung als nach würdigem Moment aus. Die eigentliche Party geht dann auch erst draußen los, bei Häuschen im Grünen. Es gilt einen Sommer zu erobern, sich vier Wände und ein Dach und noch eine Etage anzueignen, dabei aber das eigentliche Projekt „Beziehung“ nicht aus den Augen zu verlieren.

Das erste Aufwachen noch in der Stadt, das die Kamera von Frank Blau wie mit vom Schlaf verklebten Augenliedern zeigt. Entspannter, unverstellter Alltag beim gemeinsamen Zähneputzen, eine Liebeserklärung, die unter die Gürtellinie geht. Das ist voll im Leben, das glaubt man auch der Marie Bäumer, die, wenn man nicht gesehen hat, wie „Der alte Affe Angst“ ihr im Nacken saß, als zu schön oder zu albern („Der Schuh des Manitu“) fürs Kino verkannt wird. Nun erschrickt man mitfühlend, als Thomas ohne viel nachzudenken einen Vorschlaghammer in die Wand versenkt und die Pole dieser Verbindung deutlich werden. Der Mann ist unreifer, verrückter. Die Frau muss manchmal Mutter spielen, sich für beide zusammenreißen. Und sehnt schon eine Ruhe herbei: „Vielleicht ist irgendwann die Zeit gekommen, wo wir nicht mehr immer überall hinlaufen müssen, um zu wissen, wie es da ist.“

Wieder spontan lädt Thomas seinen älteren Bruder Friedrich (André Hennicke) ins Haus ein. Eigentlich wollte man doch unter sich bleiben. Aber der Friedrich hat Job und Frau und Haus verloren, nun gut, soll er halt kommen. Dann aber auch Hannas Patenkind Augustine (Anna Brüggemann).. Und Mitte, Ende August, wenn der Sommer so richtig heiß ist und die Nächte nicht viel Schlaf zulassen, wird die Beziehungs-Chemie durch die beiden neuen Elemente auf eine schwere Probe gestellt.

Jetzt, wenn man mittendrin ist im sommerlichen Abenteuer eines jungen Paares, wenn man den ersten Joint mit ihnen geraucht hat, wenn die vier beim Lagerfeuer vor dem Haus Ideals „Blaue Augen“ gesungen und bei Selbstversuch mit Tetrapack-Rotwein sich fast blind getrunken haben, dürfen dann auch die Erläuterungen und Anmerkungen zur Vorlage folgen: Die Versuchsanordnung stammt von Goethe, merken tut es nicht mal unbedingt der, der die „Wahlverwandtschaften“ kennt. Beim Alten aus Weimar treten in feinst geschliffener Sprache die Anziehungs- und Abstoßungs-Kräfte der Beziehungselemente kristallklar aus dem Drama eines adeligen Paares hervor und die Umgestaltungen des Landsitzes spiegeln die Entwicklungen. Die moderne Variante des jungen Regisseurs aus Hannover wirkt wie beiläufig aus der Hand gefilmt, ist in den vorgeführten Gefühlen jedoch ungeheuer präzise und mitreißend. Der See spielt in beiden seine dramatische Rolle, das Ende ist bei Schipper eher erreicht, aber offen. Nach „Ein Freund von mir“ (2006) und
„Absolute Giganten“ (1999) gelang Sebastian Schipper ein leichtes, kluges, reifes und packendes Meisterwerk des Gefühlsaustausches und der Beziehungsenttäuschung. Die starke, schwere Musik von Vic Chesnutt setzt dem Kunststück ein i-Tüpfelchen auf.


Ein FILMtabs.de Artikel