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Lichter der Vorstadt

Lichter der Vorstadt
Finnland, BRD, Frankreich 2006 (Laitakaupungin Valot) Regie: Aki Kaurismäki mit Tommi Korpela, Maria Järvenhelmi, Ilkka Koivula, Aarre Karén, Maria Heiskanen, 78 Min.
 
Seit mehr als zwanzig Jahren dreht der Finne Aki Kaurismäki seine lakonischen Filme. 16 abendfüllende sind es mittlerweile: "Das Mädchen aus der Streichholzfabrik", "I hired a contract killer", "Leningrad Cowboys" … Auf den ersten Blick immer die gleiche Tristesse der Arbeiterklasse, über deren trockener, aber meist stark alkoholisierter Hinnahme des Schicksals man sich herrlich amüsieren kann. Aufrechte Verlierer, stille Kämpfer, die nie verzagen, auch wenn der Selbstmord wieder ein Versuch bleibt.
 
Der schweigsame Koistinen (Janne Hyytiäinen) ist einer von ihnen: Der Wachmann erlebt Einsamkeit nicht nur bei seinen nächtlichen Kontrollgängen und in der kargen Mini-Wohnung. Selbst die Kollegen Wachmänner schneiden ihn. Plötzlich taucht eine Frau in seinem Leben auf. Und was für eine! Die attraktive Mirja (Maria Järvenhelmi) ist eine Erscheinung aus einer anderen Welt, aus einem anderen Leben, aus einem anderen Film.
 
Eigentlich könnte auch irgendwo in Neonlettern "Femme fatale" oder "Blonde Versuchung" aufleuchten. Mirja ist in jeder Faser Falle und Versuchung. Mehr als Hoffnung hat Koistinen allerdings nicht von der kurzen Liaison. Bald füllt sie ihn ab, entwendet ihm die Dienst-Schlüssel. Die Gang des Gangsterbosses Lindström (Ilkka Koivula) raubt ihn Seelenruhe den Juwelier aus und versteckt ein paar Klunker, eine Spur des Verbrechens bei Koistinen. Der könnte fliehen, er könnte Mirja anzeigen. Aber so was macht man bei Kaurismäki nicht. Dort sitzt man die Strafe aus, wie man vorher das Leben auf der anderen Seite des Gitters ausgesessen hat.
 
Kaurismäki ist ein Meister der Ökonomie. Meist nimmt er seine Schauspieler schon während der Probe auf. "Das Mädchen aus der Streichholzfabrik" war 69 Minuten kurz, für das deutsche Fernsehen schummelte er ein paar Minuten hinzu. Im Reigen der Meisterregisseure ist der Autor, Regisseur und Produzent ein relativ Junger und gleichzeitig ein Relikt. Der Verächter von Fernsehen und amerikanischer Unkultur dreht nur auf 35mm-Film, niemals auf Video. Seine Filme stecken voller Zitate alter Meister und kaum ein Mensch hat noch das filmhistorische Wissen, diese Ebene zu verstehen. Aber trotz der tristen Sujets seiner jetzt abgeschlossenen Verlierer-Trilogie aus "Wolken ziehen vorüber" (Arbeitslosigkeit), "Der Mann ohne Vergangenheit" (Obdachlosigkeit) und "Lichter der Vorstadt" (Einsamkeit) ziehen die Filme des Finnen nicht runter. Es ist nicht das furchtbare Lamento nur gut gemeinter sozialer Anklagen. Es sind Meisterwerke mit aufrechten Helden der Arbeiterklasse. Mit einer faszinierenden Farbdramaturgie, deren Grundfarben aus dem originellen Retro-Deko herausleuchten. Und mit einer einzigartigen Mischung aus finnischem Tango und dem Blues, der sicher auch seine Wurzeln dort im dunklen Norden hat.


Ein FILMtabs.de Artikel