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127 Hours

USA, Großbritannien 2010 (127 Hours) Regie: Danny Boyle mit James Franco, Amber Tamblyn, Kate Mara 93 Min. FSK ab 12

Lernen Sie Aron Ralston (James Franco) kennen, einen verrückten Kerl, voll auf Adrenalin. Und der Film pumpt direkt eine satte Ladung davon in unsere Adern. Im rasenden Splitscreen geht es raus aus der übervölkerten Stadt. Irgendwo im Naturcamp ein paar Stunden Schlaf auf der Pritsche des SUV, dann mit dem Rad rein in den Canyonlands National Park. Aron ist ein Extrembiker, der sich von einem Sturz nicht aus der Bahn bringen lässt, darüber lacht. Ein Bergwanderer, der gerne auf einsamer Wolf macht.

Hier ist „127 Hours” längst ein berauschender Film: Unglaubliche Landschaften. Farben, die Danny Boyle schon in „Slumdog Millionär” wie einen Rausch auf die Leinwand brachte. Wer die wahre Geschichte von Aron Ralston kennt, die reichlich durch die Medien ging und unter dem Titel „Between a Rock and a Hard Place” veröffentlicht wurde, weiß was bald passiert und versteht die Andeutungen. Ein Schweizer Messer bleibt in Arons Wohnung liegen. Ein Wasserhahn lässt sein wertvolles Gut unbeachtet tropfen. Es sind – auch wenn „127 Hours” fast nichts mit dem Genre zu tun hat – die Tricks der Horrorfilme: Da streift die Hand selbstvergessen den Felsen. Klar, Aron Ralston ist ein angstfreier Kerl, der es liebt, die Natur zu erfahren (mit dem Bike), zu erleben und zu fühlen (mit seinen Händen)! Plötzlich rutscht er ab, ein Felsbrocken stürzt mit ihm in eine Bodenspalte und klemmt seinen Unterarm ein. Der Filmtitel „127 Hours” steht erst jetzt auf der Leinwand, das unglaubliche Drama beginnt.

Aron Ralston steckt in der Klemme, in einer tiefen und sehr abgelegenen Felsspalte im Niemandsland. Als kluger Survival-Typ

breitet er alles vor sich aus, was er dabei hat. Was könnte ihn retten? Und wieviel Wasser ist in der nur einen Trinkflasche? Er stoppt die Zeit, die er braucht, um mit dem Billig-Werkzeug vom Baumarkt ein paar Schrammen in den Fels zu kratzen. Denn keiner weiß, wo er hinging – Aron war schon immer konsequenter Einzelgänger – die Schattenseiten dieser Eigenschaft werden ihm jetzt klar.

James Franco, der Allen Ginsberg aus „Howl”, der auch letztes Wochenende mit „The dangerous book for boys” als Autor in Erscheinung trat, hält mit seinem großartigen schauspielerischen Können diese beklemmende Solo-Nummer extrem spannend. Das Erstaunen im Blick auf die eingequetschte Hand nach dem Sturz, die Verzweiflung in den Handlungen – großartig und oscar-reif!

Danny Boyle („Trainspotting”) gelingt es, aus dem an einem Ort festgelegten Open Air-Kammerspiel ein packendes Drama zu machen. Das Lichtspiel der Sonne in der gerade mal mannsbreiten Schlucht ist ein großes Schauspiel und wärmt Aron für ein paar Minuten. Und die wortwörtliche Zwangslage ist sogar komisch: Der dritte Tag der 127 Stunden Beklemmung beginnt auf der Tonspur unübertrefflich zynisch mit dem Song „Lovely Day”, wobei die Anstrengungen alles andere als lieblich sind. Die Sehnsucht des Verdurstenden nach Flüssigkeit beantwortet der Schnitt mit sprudelnder Werbung. Aber es gibt auch Rückblenden ins bisherige Leben Arons, sowie mit fortschreitender Erschöpfung auch immer mehr wahnsinnige Visionen. Bis hin zum Wiedersehen mit seiner ganzen Familie – auf einem Sofa sitzend in der Schlucht.

Etwas unappetitlich wird es erst in der letzten Viertelstunde. Wobei – ganz nebenbei – dieser Film ein Antipode zu den ganzen Sadistereien der Horror-Reihe „Saw” darstellt: Hier fühlt man, was es bedeutet, sich selbst ein Körperteil abzutrennen. Hier durchlebt man eine existenzielle Abwägung und eine unfassbare Entscheidung für das Leben. Aron Ralston machte den Felsen zum Stolperstein seines Lebens, oder zum Scheideweg, um eine noch unpassendere Metapher einzuwerfen. Bis zuletzt bleibt er ein cooler Hund, der noch ein Foto von dem im Canyon zurückbleibenden Arm macht. (Kinder, bitte nicht zuhause nachmachen.)


Ein FILMtabs.de Artikel