Gripsholm

BRD/Ö/CH 2000 (Gripsholm) Regie Xavier Koller, 102 Min., FSK ab 12

Der Schweizer Xavier Koller, der nach seinem Oscarfilm "Reise der Hoffnung" zwei amerikanische Produktionen drehte, meldet sich mit einem gelungenen Stück Kontinent-Kultur in Europa zurück.

"Gripsholm" ist nicht die Verfilmung von Kurt Tucholskys wunderbarer Sommergeschichte "Schloß Gripsholm" - deshalb der andere Titel. Oder nicht ganz: Auch hier reist der Dichter Kurt (Ulrich Noethen) mit seiner Geliebten (Heike Makatsch) von Berlin in die schwedische Sommerfrische. Als Gast eines befreundeten Schloßherrn machen sie das, was vor den schönen Zeilen Tucholskys nicht machbar war: Sie sitzen am See und lassen die Seele baumeln. Doch diesmal gilt es nicht nur ein Mädchen aus den Fängen einen herrischen und grausamen Kinderheim-Führerin zu retten. Diesmal drohen aus den Zeitungen des Jahres 1932 die Nazis herüber. Wir sehen, wie lange schon über die Bemerkung "Soldaten sind Mörder" verhandelt wird und wer damals was gegen den Satz hatte.

Während der Roman nicht Traurigeres als das Ende des Sommers enthält, ist "Gripsholm" von Tucholskys Tode her gefilmt. Die Musik gibt dem Ganzen eine melancholische Note, Anspielungen auf den kommenden Selbstmord fehlen nicht. So ist "Gripsholm" Romanverfilmung und Dichterbiographie (drei Jahre vor dessen Tod) in einem - eine gute Literaturverfilmung also. Dazu kommt eine ganze Menge Historisches und gelungenes Zeitgefühl. Diese Interpretation begnügt sich nicht damit, das Terrorregime im Kinderhort als Symbol für Deutschland zu zeigen. Was nicht ganz gelingt, ist die Vermittlung des anderen Lebensgefühls, das sich aus den Zwanzigern bis kurz vor der Nazi-Katastrophe erhalten hat. Das freiere Liebesleben etwa wird unter Schleiern und den herausfordernden Blicken der Verruchtheit gesehen. Speziell für dieses kommt die Tabatabai vorbei, singt und spielt (überzogen) verrucht "Cabaret". Zwischendurch bringt Fliegenpilz, als Hostie dargereicht, kleine Räusche.

Ganz vortrefflich spielt "die Makatsch" die Berliner Göre, die "aufrichtigste Seele". Die wunderbar netten, witzigen, verspielten Dialoge Tucholskys sind bei ihr und Noethen gelebt. So gelingt der Sommerurlaub des pessimistischen Dichters und der lebensfrohen Geliebten dem Regisseur Koller ("Der schwarze Tanner", "Das gefrorene Herz") zu einem Meisterwerk mit viel Menschlichkeit. Kameramann war wieder der exzellente, weltweit drehende Pio Corradi ("Candy Mountain", "Donusa").


Eine Kritik von Günter H. Jekubzik

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