Comedian Harmonists

BRD 1997 (Comedian Harmonists) Regie Joseph Vilsmaier, 105 Min.

Sie sind ein Stück deutscher Geschichte, sie machtenMusikgeschichte und ihre Stücke waren so gut, daß sie nochheute Spaß machen: Die Comedian Harmonists.

Mitte der Zwanziger Jahre in Berlin. Wie heute gab es auch damalsdrei Millionen Arbeitslose, Armut und Hunger. Der jungeSchauspielschüler Harry Frommermann (Ulrich Noethen)schwärmt für die amerikanische A-Capella-Gruppe "TheRevellers" und hat die geniale Idee, so etwas auf deutsch zu bringen.Es dauert eine Weile bis sich fünf unterschiedliche Tonlagen undein Pianospieler zusammengefunden haben. Erst nach vielen Proben,Reibereien und Frustrationen klingt "Veronika, der Lenz ist da"halbwegs wie der Ohrwurm, der sich bis heute gehalten hat.Während der Erfolg mit Radiosendungen, Schallplattenaufnahmenund Konzerten unaufhaltsam scheint, konzentriert sich die Story aufFrommermann und den Baß Robert Biberti (Ben Becker). Beideumschwärmen die junge Erna Eggstein (Meret Becker), Frommermannleise und schüchtern, Biberti ruppig und polternd.

Der Streit bricht aus, als die Kulturbehörden derherrschenden Nationalsozialisten Warnungen aussprechen: DreiHarmonists sind Juden. Ein mächtiger Gauleiter (Rolf Hoppe)protegiert zwar seine Lieblingsband, doch man möge bitte aufLieder jüdischer Komponisten verzichten. Während einerUSA-Tournee kommt es zur entscheidenden Aussprache. Die dreijüdischen Harmonists vertreten in ihrer Haltung zu Glauben undin ihrer Heimatliebe ein kleines Spektrum der Positionen. Nach einemweiteren Streit zwischen Frommermann und Biberti kehrenschließlich alle nach Deutschland zurück, wo sie bald vomendgültigen Verbot ihrer Gruppe erfahren.

Der deutsche Film hat es immerhin so weit gebracht, daßfür "Comedian Harmonists" eine ganze Riege akzeptabler Gesichtervor die Kamera treten kann (und Katja Riemann trotzdem angenehmselten zu sehen ist). Es liegt wohl eher am Buch von Rolf Zehetbauer,daß vier von den sechs Harmonists schemenhaft bleiben, ganz zuschweigen von ihren Partnerinnen, die nur strahlend applaudierendürfen. Der Kamera fällt auch nichts anderes ein, als immerwieder im Gegenschuß diese Freundinnen zu zeigen. Wenn man andie früheren Arbeiten von Vilsmaier denkt, an "Herbstmilch" oder"Schlafes Bruder",können die "Harmonists" nur eine unliebsame Auftragsarbeitgewesen sein - so jedenfalls wirkt das leblose Geschichtskapitel.

Neben den Standards vom Aufstieg einer Band und der zentralenLiebesgeschichte gibt es einigen Spaß, die Erklärung derLiedzeile "Veronika, der Spargel wächst" und gleich einendreifachen Auftritt des Sander-/Becker-Clans: Vater Otto Sanderspielt einen Agenten, Sohn Ben Becker den Baß Robert Bibertiund Tochter Meret die umworbenen Erna.

Es war schon immer ein Problem für Musikfilme, wenn derPianist sichtlich in einem ganz anderen Takt herumklimpert oder dieangeblichen Hände des Stars nie so richtig zum Körperpassen. (Dabei geht es auch ganz anders, wie die"32Variationen über Glenn Gould" zeigten: In keiner Szene wurdeso getan, als könne der Schauspieler tatsächlichmeisterlich Klavier spielen.) Allerdings so grausam asynchron wie die"Comedian Harmonists" kam noch nie ein Film daher. Momente mitlippensynchronen Schauspielern muß man geradezu suchen. Es istein Rätsel, wie der Verleih so etwas in die Kinos bringen kann!

Und nicht nur die Stimmen, auch die Zeitstimmungen wirkenkünstlich, stimmen und funktionieren nicht. Dekorative Armut,klischeehafte Naziauftritte. Das wilde Leben der Zwanzigerläßt sich nicht mal erahnen. Die siebzigjährigenLiedtexte sind doch tatsächlich das anzüglichste,direkteste in diesem Film! Nur zwei Szenen bleiben hängen: Einkleiner, privater Auftritt beim Gauleiter. Ein Tanz auf dem Vulkanangesichts der gnädigen Arroganz von Macht. Und das letzte Lied,der Abschied - ein großer, sentimentaler Filmmoment.

Dabei sind einige Fakten auch ohne jede Kunst erschütternd:Drei Viertel des Repertoires der Harmonists stammte vonjüdischen Komponisten. Welchen Verlust für jede Form vonKultur die Verfolgung, Ermordung und Vertreibung deutscher Judenbedeutet, bleibt für Nachgeborene unvorstellbar. DieserEinschnitt ist wohl die wesentlich tiefere deutsche Teilung.

ARTE zeigte am Freitag (26.12.97) den ersten Teil von EberhardFechners Dokumentation "Comedian Harmonists" aus den Siebzigern. Derzweite Teil wird am 2. Januar zu sehen sein.


Eine Kritik von Günter H.Jekubzik

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