Mulholland Drive

USA 2001 (Mulholland Drive) Regie David Lynch Mit Laura Elena Harrig, Naomi Watts 152 Min.

Gelynchte Realität

Eines vorweg: Die Lösung des Films ... gibt es nicht. Nach seinem äußerst verwirrenden "Lost Highway", dessen Story dem unendlichen Lauf einer Möbius-Schleife ähnelte, und dem erfrischend gradlinigen "Eine einfache Geschichte" krönt "Twin Peaks"-Schöpfer David Lynch seine Irritationen mit dem fantastischen und fesselnden "Mulholland Drive".

Wie erzählt man eine Story, die man sich nicht erklären kann? Vielleicht ganz einfach: Eine dunkelhaarige Frau (Laura Elena Harring) kann ihrer Eskorte, die sie wohl ermorden will, entfliehen, weil ihre Limousine heftig angefahren wird. Verwirrt stöckelt die Frau ins nächste Wohngebiet, schlüpft in ein Appartement, dessen ältere Bewohnerin gerade abreist. Mit der blonden Betty Elms (Naomi Watts aus "Down") die bald einzieht, freundet sich die Frau ohne Gedächtnis an und gemeinsam suchen sie verschüttete Erinnerungen zu erhellen. Zwischendurch wird einem Regisseur seine Hauptdarstellerin aufgezwungen, Ýein verstörter Mann sieht das Böse, die beiden Frauen finden eine Leiche und ein älteres Paar wirkt dämonisch. Dann wirbelt Lynch alles durcheinander, die Schauspielerinnen sind plötzlich andere Figuren, die Liebe zwischen den Frauen wandelte sich in Eifersucht und Hass, die Leiche der ersten Hälfte lebt noch, aber ein Rückblende kann das alles nicht sein, auch kein Traum, der sich irgendwann auflöst ...

Ein Kritikerkollege beschwerte sich, dass die beiden Frauen mitten in der Nacht in ein surreales Theater gingen: Das hätte zu der Zeit doch wohl nicht auf. Derart beschränkte Realismus-Sucht hat bei Lynch längst verloren. Und überhaupt: Muss man alles verstehen? Mit einem ganzen Geflecht traumartiger Szenen, mit Figuren zwischen Filmklischee, Soap und Albtraum, mit einem Schlüssel, der rätselhafter als alle anderen Rätsel bleibt, fesselt der eigenwillige Amerikaner ohne Nacherzählbares.

Trotzdem bieten der Wechsel der Personen, das Diskontinuierliche Anhaltspunkte: Die Amerikaner nennen es "Pretzel"-Logik, der verschlungene Lauf einer Bretzel oder die Unendlichkeit einer Möbius-Schleife zeigen die Ereignisse zweimal, aber jeweils von anderer Seite. War dies bei "Lost Highway" noch deutlich erkennbar, hat es sich Lynch nun wohl zum Ziel gesetzt, gar keine Erklärungen aufkommen zu lassen.

Nebenbei rechnet er in einigen absurden Szenen mit dem Filmgeschäft ab, stellt es als Mischung aus Mafia- und Cowboy-Manieren dar. (Soll die Brille, soll der schwarze Anzug mit rosa Flecken an Wenders erinnern?) Vor allem aber haben schon die einzelnen Szenen - mit der Musik des Lynch-Komponisten Badalamenti - einen enormen hypnotischen Sog. Am Sunset-Boulevard schwelgt Lynch in verfallenem Art Deco. Im surrealen Teatro El Silencio ist alles völlig Illusion. Der Zwerg im Hintergrund eines aus "Twin Peaks" bekannten, roten Raums bietet fast schon heimeligen Halt im Albtraum des Alltäglichen. Der wohl spannendste Moment von "Mulholland Drive" ist der Eintritt in die "andere" Welt nach Ende des Films. Kaum ein Regisseur schafft es, den Blick auf die Toilette im Kino, das Foyer und die Straße so völlig zu verfremden.

http://www.bacfilms.com/mulholland


Eine Kritik von Günter H. Jekubzik

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