Magnolia

USA 1999 (Magnolia) Regie und Buch Paul T. Anderson, 188 Min.

Am Anfang steht ein Selbstmord, der gleichzeitig ein Mord und ein Unfall ist. Unglaublich, aber Zufall? Mit dieser Frage schickt uns Paul T. Anderson in ein leidgeprüftes Kaleidoskop menschlichen Lebens.

Der Medienmogul Earl Partridge (Jason Robards) liegt im Sterben und möchte seinen Sohn nach Jahrzehnten noch einmal sprechen. Seine jüngere Frau Linda ist sehr unflätig zerrissen von ihren Schuldgefühlen und ihrer zu späten Liebe. Jimmy Gator (Philip Baker Hall), der angestammte Host eines TV-Quiz für Kinder, weiß, dass er sterben muss und will einiges ins Reine bringen. Seine Tochter Claudia (Melora Waters), weiß, dass sie die nächste Nase Koks braucht, findet den hyperkorrekten Polizisten Jim (John C. Reilly) trotzdem sehr nett. Der kann seine perfekte Fassade nicht mehr lange aufrecht erhalten. Zurück- und aushalten kann das Gameshow-Wunderkind Stanley (Jeremy Blackman) den Erfolgs- und peinlichen Blasendruck nicht mehr. Derweil ist das äußerlich erwachsene Quiz-Kid Donnie (William H. Macy) völlig aufgelöst. Gerade gefeuert und rettungslos verliebt in den Kellner Brad, der aber anscheinend nur für Geld zu haben ist. Frank Mackey (Tom Cruise) provoziert mit seinem Abschlepp-Training "Verführe und zerstöre". Eine große, schmierige Macho-Ego-Show mit dem Kernsatz "Achte den Schwanz". In Brads Kneipe dudelt derweil noch Supertramp, denn das Mantra-artige Flehen von Aimee Manns Schlußsong "Save Me" (Rette mich) setzt erst später ein.

"Magnolia" läßt sich Zeit für sein Kaleidoskop aus Ups and Downs, aus wenigen Höhepunkten und viel Niederschmetterndem. Nach zwei von drei Stunden hat er es sich behaglich gemacht auf der dramatischen Schwelle zwischen Leben und Tod. Das Zusammenspiel der Handlungsfäden sorgt für eine gewaltige Steigerung der Emotionen. Es ist wieder mal eine Variante der Altman'schen "Short Cuts" mit eindrucksvollen Schauspiel in Reihe. Wie Heroin fließt destilliertes Gefühl in jeden Kinosessel, in jeden Gehörgang, jede Pore. Die in Kurzgeschichten gesetzte Baz Luhrman-Weisheiten vermitteln sich unter dem Dauerregen drohender Tränen. Der Krebs frißt in allen Familien und Beziehungen. "Magnolia" erzählt Familiengeschichten voll quälender - manchmal unerträglich langer - Reue mit wenig Hoffnung auf Vergebung. Auf dem Höhepunkt des Films stimmen alle Beteiligten in einen gesungenen Klage-Chor ein: "Save Me". Und wenn dann der Regen fällt, ist es wunderbar.

"Magnolia" ist nach "Hard Eight" und "Boogie Nights" der dritte und eindrucksvollste Spielfilm von Paul Thomas Anderson. Verlor sich "Boogie Nights" noch etwas unausgewogen in seinen Geschichten, beim Multi-Melo "Magnolia" stimmt alles und ist nur noch Geschmackssache. Der Jury in Berlin gefiel es. Sie vergab ihren Hauptpreis, den Goldenen Bären an "Magnolia".


Eine Kritik von Günter H. Jekubzik

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