Große Erwartungen

USA 1998 (Great expectations) Regie Alfonso Cuarón, 111Min.

Die großen Erwartungen konnte man schon nach dem Trailerdahinfahren lassen: Eine kitschig weichgezeichnete, ewige Liebe mitzwei Na-ja-Schauspielern und Robert DeNiro in einer kleinenNebenrolle. Überraschend daß die Geschichte, die an derKüste Floridas beginnt von Charles Dickens stammt und vor mehrals 100 Jahren, genauer 1860, erschien. Irgendwie hätte dieGeschichte wohl so ein optisches und emotionales Feuerwerk werdensollen wie es Baz Luhrmann mit"WilliamSkakespeares Romeo & Julia" hinlegte. Doch "GroßeErwartungen" erweisen sich hauptsächlich als gewöhnlich und schal.

Es beginnt sehr schön und aufregend: Der junge Finnegan Bell(Jeremy James Kissner) läßt sich zwischen Meer, seichtenBuchten und verlassenen Stränden treiben, zeichnet Fische,Seesterne und Vögel in einem naiven und doch sehr kräftigenStil. Plötzlich taucht eine Fratze aus dem Wasser auf: Derentflohene Häftling Lustig (Robert DeNiro) , zwingt Finn mitbrutalen Drohungen, ihm Essen und einen Bolzenschneider zu bringen.Trotz der Hilfe des Jungen wird Lustig erneut gefaßt und dieEpisode gerät in Vergessenheit. Denn bald erhält der Waiseeine Einladung von der seltsamen und abgeschieden lebenden NoraDinsmoor (Anne Bancroft). Die schrullige Alte zieht das jungeMädchen Estella auf und Finn ist sofort hin und weg. ÜberJahre lernen sie an ihrem festen Samstag gemeinsam tanzen, Finn darfEstella zeichnen und ihr nachsehnen. Mitten im Tanz schlägt dieFilmkunst zu, aus den Kindern werden Erwachsene (Ethan Hawke undGwyneth Paltrow) und Finn erhält bald den ersten Stich ins Herz.

Die Idee ist schnell klar: Weil ein Mann sie einstsitzenließ, erzieht Nora Dinsmoor nun eine Frau, die sie beiden Männern rächen, ihnen reihenweise das Herz brechensoll. Finn ist nur Testobjekt und Nora warnt ihn sogar davor,daß er stark leiden wird. So weit so trivial, wenn man jetztnoch verriete, ob sich Finn und Estella letztendlich bekommen,wäre der restliche Reiz des Films auch weg.

Denn als der verlassene Finn sich gerade mit dem einfachen Lebenals Fischer abgefunden hat, kommt das Angebot einer Galerie aus NewYork. Nach viel Überredung malt Finn einige Fratzen(Originalzeichnungen von Francesco Clemente) und läßt sicherfolgreich auf das Gesellschafts- und Künstlerspiel ein. Dochwer zieht die Fäden in seinem Leben?

Das Klischee der hartherzigen Frau ist eindeutig Geschmacks- undErfahrungssache. Wahrscheinlich hat der alte Dickens nie denMüll rausgetragen, dazu noch im Stehen gepinkelt und wurdedeshalb dauernd verlassen. Seine Frauenfiguren müssen das jetztund in alle Ewigkeit ausbaden.

Zwischendurch zeigt der junge mexikanische Cuarón auchfrische, flotte Szenen mit guten Kinoideen. Doch leider nur alle 15Minuten. Ansonsten kippt die Kamera bei angeblich aufregendenMomenten immer zur Seite und der Rest ist Klischee. Wenn Finn dann ineinem besonders dramatisch gedachten Moment vor dem vermeintlichenHaus seiner Angebeteten schreit und jammert, wirkt das alles nicht,da man sieht, wie die Champagnerflasche mal in der rechten, dann inder linken Hand und schwupps wieder rechts ist. Wer im Groben soschlampig arbeitet, kann auch im Detail nicht mit richtigen Menschenund Gefühlen überzeugen. Der arme väterliche FreundJoe muß in New York als grobschlächtiger Partybrecherpeinlich auftreten, dabei war Finn doch noch vor fünf Minutenselbst toll unangepaßt.

Ethan Hawke stolpert meist als Jüngelchen ohne Durchblick(und Reiz) durch die Wirren von Finns Leben. Doch für solcheSchmonzetten scheint er sich ja zu eignen: In Linklaters"Before Sunrise" litt undliebte er auch schon einem Blondchen (damals Julie Delpy) hinterher.Gwyneth Paltrow wirkt nach ihrem eindrucksvollen Auftritt als"Emma" mit dem erotischen Reiz einesKleiderständers wie ein weiteres schauspielerndes Modell, beidem Herzen wegen süßer Äußerlichkeit höherschlagen sollen. Es stockt einem aber nur der Atem, wenn sie imrealen Leben der Berlinale-Premiere unsicher auf viel zu hohen Schuhedaherstöckelt und sich jeden Moment einen Knöchel zubrechen scheint.


Eine Kritik von Günter H.Jekubzik

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