« | Home | »

Eine Erklärung für alles

(Magyarázat mindenre) HUN/SLO 2023 R: Gábor Reisz, D: Gáspár
Adonyi-Walsh, István Znamenák, András Rusznák, 128 Min.

Am Montag verliebt sich Abel. Dabei müsste der Gymnasiast eigentlich für
die Abiturprüfung lernen. Aber der Stoff will nicht hinein in seinen
Kopf. Nicht, dass sich Abel großartig anstrengen würde. Er ist jung und
hängt lieber mit seinen Freunden in seiner Heimatstadt Budapest ab. Vor
allem mit Janka. Denn in sie ist er heimlich verliebt. Gegenseitig
stützen sie sich in den Vorbereitungen für die mündliche Prüfung. Doch
während Janka mit wehenden Fahnen besteht, bekommt Abel keinen Ton
heraus. Um sein Versagen vor seinem Vater zu kaschieren, erfindet er
eine Geschichte: Sein Geschichtslehrer habe ihn seit dem letzten
Elternabend ohnehin auf dem Kieker und er sei nur durchgefallen, weil er
während der Prüfung einen Anstecker in den Farben der ungarischen Flagge
trug. Die unbedacht ausgesprochene Lüge entwickelt sich alsbald zum
nationalen Skandal, als eine junge Journalistin auf die Geschichte
aufmerksam wird.

Pointiert und clever konstruiert Gábor Reisz seine satirische Komödie.
Er zeigt die Ereignisse aus unterschiedlichen Perspektiven und zeichnet
damit ein vielfältiges Bild der (Selbst)Wahrnehmung. Da ist Abel, der
sich der Tragweite seiner Tat nicht so recht bewusst ist. Sein Vater,
ein überzeugter Anhänger der rechtspopulistischen Fidesz-Partei,
kommentiert den Untergang seines Landes mit Wut und Verbitterung. Der
Leidtragende ist Abels Lehrer Jakob, der Job und Familie mehr schlecht
als recht jongliert, weil er zu sehr von sich selbst eingenommen ist, um
zu erkennen, dass alle anderen das Vertrauen in ihn längst verloren haben.

Sie sind die Darsteller in einem Zirkus, einem Ungarn unter der
Regierung Viktor Orbáns, in dem sich die Gemüter in Windeseile erhitzen.
Die Menschen sind unzufrieden mit der Situation in einem Land, wo ein
Lehrer 500 Euro im Monat verdient und auch ein angesehener Architekt
sich nicht mehr als eine dunkle 3-Zimmer-Mietwohnung leisten kann. Die
Gesellschaft ist geteilt in Lager und die bestimmen die Meinungen. Jeder
wähnt sich im Recht und bald geht es nicht mehr um die eigentliche
Sache. Regisseur und Drehbuchautor Reisz zeigt eine Gesellschaft im
Brennglas, in der das Politische ins Private hinein reicht. Damit bringt
er die Polarisierung, die derzeit viele Gesellschaften in aller Welt
bestimmt, auf den Punkt. Leidtragend sind die jungen Menschen, deren
Erwachsenwerden immer auch mit einer politischen Positionierung
einhergeht. Sie bekommen den Druck direkt zu spüren. Dabei wollen sie
eigentlich nur jung und frei sein. All das fängt Gábor Reisz in seinem
meisterhaften Film nachvollziehbar, menschlich und unglaublich
unterhaltsam ein und erhielt dafür Preise in Venedig, Chicago und beim
Münchener Filmfest.


Ein FILMtabs.de Artikel