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Am Strand

Großbritannien 2017 (On Chesil Beach) Regie: Dominic Cooke mit Saoirse Ronan, Billy Howle, Emily Watson, 110 Min. FSK ab 12

Exakt zum 70. Geburtstag des außerordentlichen Schriftstellers Ian McEwan startet mit „Am Strand“ die Verfilmung seines unter gleichem Titel in Deutschland veröffentlichten Romans nun auch bei uns. Ein Marketing-Gag, doch um den Autoren von wunderbaren, verstörenden und unvergesslichen Werken wie „Der Zementgarten“, „Abbitte“ oder „Solar“ hervorzuheben, sei es verziehen. „Am Strand“ („On Chesil Beach“) beschenkt uns in betörenden Landschaften und Dekors mit den Abgründen, die eine sexuell restriktive Gesellschaft in den Seelen der Menschen erzeugt.

Ein wunderschöner Spaziergang am Strand wird für das junge Paar bei der Rückkehr in die Unterkunft zur beklemmenden Angelegenheit. Das frischvermählte Ehepaar Florence Ponting (Saoirse Ronan) und Edward Mayhew (Billy Howle) ist Anfang der Sechziger Jahr für die Flitterwochen am Strand von Chesil Beach im englischen Dorset. Die Liebe ist groß, die Sympathien sind stark, ein besonderes Verständnis füreinander überschreitet soziale wie kulturelle Grenzen und hat sie zusammengebracht. Doch je näher die erste gemeinsame Nacht rückt, um so mehr begeben sich beide auf unbekanntes und stark vermintes Gebiet.

Das einleitende Gespräch über Musik macht in der Spanne von Chuck Berrys „Roll over Beethoven“, dem Idol von Edward, bis zur Klassik des Streich-Quintetts von Florence auch ein soziales Spannungsfeld zwischen den jungen Menschen deutlich. Er kommt aus einer Arbeiterfamilie, die kreative Mutter ist seit einem Unfall geistig behindert. Die reichen Eltern von Florence schauen auf den neuen Freund herab – ist dies vielleicht nur eine rebellische Phase der zu aufgeweckten Tochter gegen die reaktionäre Mutter? Sie lernten sich schließlich bei einer Aktion der Friedensbewegung gegen Aufrüstung kennen. Nein, Florence liebt Edward wahrhaftig. Ihre Liebe und (Mit-) Menschlichkeit von Florence überbrückt die gesellschaftlichen Schranken mit Leichtigkeit

Doch eines kann die Frau nicht überwinden. Nach der Rückkehr ins Hotel, aus dessen Tapeten die Spießigkeit herausdünstet, spürt man die Anspannung . Die dreist ordinäre Bedienung zweier Kellner beim Abendessen auf dem Zimmer ist gleich mehrfach ein heftiges Überschreiten persönlicher Grenzen. Eine bittere Farce. Florence wollte schon immer Sex vermeiden. Ihre Erfahrungen scheinen seit der Kindheit traumatisch belastet zu sein. Edward beweist mit tölpelhaft nervösen Verhalten, dass er völlig unerfahren ist. Aber beide bringen einige Pakete Altlasten mit zu diesem Moment.

In diesem einen, tragischen Tag am Strand von Chesil Beach tauchen – elegant und geschickt montiert – fließend Momente aus dem Vorleben des Paares auf: Die erste Begegnung, sein Weg an die Universität, ihre Auseinandersetzungen mit der reaktionären Familie, die Treffen voller Austausch und Spaß. Aber diese Liebe auf den ersten Blick wird durch gesellschaftliche Restriktionen ein Drama des Verkennens.

Hauptdarstellerin Saoirse Ronan erhielt ihre erste Oscar-Nominierung mit 13 für „Abbitte“, auch eine Ian McEwan-Verfilmung. „Brooklyn“ war dann ein erster ganz großer Erfolg mit ihrer ergreifenden Rolle als Auswanderin, die sich in Fremde und Einsamkeit emanzipiert. Zuletzt war ihr rebellischer Teenager „Lady Bird“ in dem Gerwig-Film eine Sensation. Nun sind es wieder die kleinen, feinen Gesten, die zarten Gefühle, die von ihr sehr gekonnt und eindrucksvoll eingesetzt werden. Vor allem sie eröffnet das Mitfühlen und -Leiden für die Zuschauer auf fesselnde und beklemmende Weise. Die verkrampften Füße unter dem Tisch bilden einen schmerzlichen Widerspruch zum froh lachenden Gesicht ein paar Momente zuvor. Auch ansonsten ist „Am Strand“ bis ins Detail exzellent besetzt. So hat Emily Watson („Hilary & Jackie“, „Die Entdeckung der Unendlichkeit“, “The Happy Prince”) eine Nebenrolle als Mutter von Florence.

Dass Ian McEwan selbst das Drehbuch verfasste, mag zum stimmigen Gelingen des Films beigetragen haben. Aus Erfahrung vermeidet man diese Verquickung so unterschiedlicher Schreib-Tätigkeiten gerne. Doch diesmal bleibt die intensive Verstörung im äußerlich schönen Erzählrahmen erhalten. Theater-Regisseur Dominic Cooke gelingt in seinem Kinodebüt dank der Kamera von Sean Bobbitt und dank einer Konzentration auf sagenhaft gute Darsteller.


Ein FILMtabs.de Artikel