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Der Hauptmann

BRD, Polen, Portugal, Frankreich 2017 Regie: Robert Schwentke mit Max Hubacher, Frederick Lau, Milan Peschel, Alexander Fehling 119 Min. FSK ab 16

Nach ein paar Hollywood-Knallern wie dem Alte-Agenten-Spaß „R.E.D.“, der tödlichen Action-Comedy „R.I.P.D.“ oder den Teilen zwei und drei von „Die Bestimmung“ realisierte der international sehr erfolgreiche Regisseur Robert Schwentke wieder in Deutschland: „Der Hauptmann“ ist eine erschütternde Abrechnung mit deutscher Obrigkeitshörigkeit. Dabei beweist die grausame, universal gültige Köpenickiade nebenbei, dass „Stolz auf Wehrmacht“ in die Psychiatrie oder vor ein Gericht gehört.

Im April 1945 weiß eigentlich jeder, dass dieser wahnsinnige Krieg für Deutschland verloren ist. Doch auch auf dem Land halten Nazis und Mitläufer das Terror-System noch aufrecht. Dort landen wir direkt bei einer sadistischen Hatz der Wehrmacht, die einen anderen deutschen Soldaten vom Lastwagen her mit Schüssen vor sich hertreiben. Obwohl ohne Chance, kann der junge Gefreite Willi Herold (Max Hubacher) entkommen und findet, in Lumpen auf Bauernhöfen Essen klauend, eine Hauptmannsuniform. Direkt erlebt Herold beim Soldaten Freytag (Milan Peschel) die Macht dieser Verkleidung. Bald sammelt er mehr und mehr verstreute Kämpfer um sich und behauptet, auf direktem Befehl „vom Führer“ hinter der Front nach dem Rechten sehen zu sollen.

Immer ist da die Spannung, ob Herold nicht entdeckt wird. Von den brutalen Feldjägern auf Suche nach Deserteuren zum Beispiel. Aber bald spielt der Verkleidete sogar mit seiner möglicherweise falschen Identität. Als sein Trupp in einem Gefangenenlager ankommt, eskaliert das Versteck-Spiel mit der Uniform. In einer schwer erträglichen Folge von Unmenschlichkeiten und bestialischen Grausamkeiten initiiert und exekutiert Herold Massenerschießungen. Mordete er anfangs vielleicht noch aus Angst, entdeckt zu werden, reißt er sich bald darum, der brutalste Schlächter einer an sich schon entsetzlichen Truppe zu sein. Seine Untergebenen morden meist unter Zwang, er aus Lust, als Party-Spaß für Männer wie Frauen. Ein cleverer Soldat (Frederick Lau), der ihn direkt durchschaut, wird sein brutalster Handlanger, der sich nur mit Mühen davon abhalten lässt, Menschen zu Brei zu schlagen. Dabei echot die Hatz, bei der Herold selbst fast umgebracht wurde, immer wieder durch die Handlung.

Bei Carl Zuckmayers „Der Hauptmann von Köpenick“, berühmt geworden durch die Verfilmung mit Heinz Rühmann, steuerte die Köpenickiade aus dem Spaß unweigerlich auf ein gnadenloses Finale zu. Mit „Der Hauptmann“ begeben wir uns ins Herz der deutschen Wehrmachts-Finsternis. Wie schnell sich ein Gejagter und Gequälter selber zum Unmenschen wandelt, hat dabei gar nicht so viel mit Faschismus zu tun. Wie „Das Experiment“ von Oliver Hirschbiegel zeigt sich eine leider sehr allgemeingültige Studie über das mörderischste Potential der Menschen, vor allem der Männer.

Bevor er mit seinem „Flight Plan“ und Jodie Foster 2005 in den USA abhob, machte Robert Schwentke in Deutschland mit der herrlich schwarzen Komödie „Eierdiebe“ und dem Thriller „Tattoo“ auf sich aufmerksam. Sein neuer, sehr vortrefflich beklemmender Film kann irgendwann das Maß der Gewalt nicht mehr steigern. Bei immer weniger Entwicklung lässt sich die Steigerung des Wahnsinns nur noch in einer von Electro-Sounds begleiteten Farce fassen, in einer oh so bitteren Farce.

Herold schickt in Unterhosen den Volkssturm auf Menschen-Jagd, sein hemmungsloses Plündern erinnert an marodierende Horden beim Dreißigjährigen Krieg. Ein „Schnellgericht Herold“ spielt sich zum „Rächer der deutschen Ehre“ auf. Dabei ist ein Maßstab für Anständigkeit gar nicht mehr vorhanden, nur das Ausmaß von Brutalität und Skrupellosigkeit unterscheidet sich noch.

Die wahre Geschichte von Willi Herold endete im Alter von 21 Jahren mit seiner Hinrichtung durch ein britisches Gericht. Schwentke erzählt die wirklichere deutsche Geschichte, wenn Herolds Verteidiger, ein alter Freikorps-Kämpfer, vor einem Nazi-Gericht betont, Herold hätte sich doch für die Wehrmacht gar nicht so ungewöhnlich verhalten. Das wirkt surreal, wenn der freie Mörder durch einen Wald voller Skelette geht, und selbst im Abspann wieder schaurig, wenn Herolds Truppe in einer Fußgängerzone von heute Menschen drangsaliert und beraubt.


Ein FILMtabs.de Artikel