Zug des Lebens

Fr/Belgien 1998 (Train de Vie) Regie und Buch Radu Mihaileanu, 103 Min.

Robert Benignis Holocaust-Komödie "Das Leben ist schön" läutete eine andere Betrachtung des Holocausts ein. Ein vom Dokumentarischen befreiter, ein für verschiedene Kunstformen offenerer Umgang. Auch der "Zug des Lebens" ist ein exzellenter Film, eine unbedingt sehenswerte Komödie über die Deportation eines jüdischen Dorfes während des 2.Weltkrieges.

Die Nazis kommen! Eine furchtbare Nachricht für das rumänische Stetl - komisch dargebracht durch den Narr Shlomo. Doch alle wissen trotzdem was ihnen bevorsteht. Während sich die Dorfoberen die langen Locken raufen, hat wieder Shlomo, der Verrückte, ein verrückte Idee: Das Dorf deportiert sich selbst ins rettende Palästina.

Erst Lubitsch hatte schon 1942 in seiner Maskerade "Sein oder Nichtsein" das Lachen als Waffe gegen die Nazis gerichtet. Mihaileanu, der in Frankreich lebende rumänische Regisseur, schickt eine jiddische Parodie der Deutschen auf die Reise, die ihren beißend komischen Höhepunkt hat, als sich zwei hingebungsvolle Nazi-Schauspieler wider Willen in ihrer einsamen Aufgabe Trost spenden. Beim Sprachunterricht erklingt folgende Weisheit: "Die deutsche Sprache ist sehr hart, präzise und traurig. Jiddisch ist eine Parodie des Deutschen. Hat jedoch obendrein Humor. Ich verlange also nur, wenn sie perfekt Deutsch sprechen wollen, den Humor wegzulassen ..."

Das Ganze ist ein absurder jiddischer Witz. Angefangen bei den Vorbereitungen, bei denen niemand die den Zug begleitenden Nazi spielen will. Ein reicher Händler muss immer mehr vom Gesparten abgeben, um einen alten Zug und die Stoffe für Wehrmachtsuniformen zu kaufen. Als es endlich los geht, fährt auch ein Liebesgeschichte zwischen dem Sohn des Rabbis und der Tochter des "Ober-Nazis" Mordechai mit. Und die Weltpolitik, denn der Kommunismus hält Einzug in den Mikrokosmos und droht die Aktion mit einem Streik zu stoppen. Als der Flüchtlingszug auf einen LKW-Zug mit Zigeunern trifft, feiert man und frau musikalisch und körperlich Völkerverständigung. (Übrigens auch eine völlig fantastische Utopie für die Roma in Rumänien.) Die Filmmusik von Goran Bregovic ("Underground", "Arizona Dream", "La Reine Margot") vermischt dabei schwungvoll die Elemente von jiddischer und Roma-Musik. Widerstandskämpfer, die den Zug verfolgen, sind völlig verwirrt von Nazis und Juden, vereint im brüderlichen Picknick auf freiem Feld. Doch die Nazi-Spieler gehen immer mehr in ihren Rollen auf, was in der heimatlosen Gemeinschaft für weitere Probleme sorgt.

Der mit Preisen überhäufte "Zug des Lebens" wartet noch mit vielen Überraschungen, glücklichen und tief bewegenden Momenten auf. Doch wie soll ein solch wahnsinniges Abenteuer enden, wo kann so ein Zug auf den festgelegten Gleisen der Geschichte hinfahren? Wie in Andrzej Wajdas Biographie des aufopferungsvollen Kinderarztes "Korczak" (1990), bleibt nur ein passend surreales Ende. Eine Möglichkeit, nicht an dem faktisch Geschehenen zu verzweifeln? Der Schlußpunkt des letzten Bildes trifft ebenso wie das leise Nachdenken, das den humorvollen Zug ständig begleitet.


Eine Kritik von Günter H. Jekubzik

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