Underground
Fr 1994 Regie Emir Kusturica, 192 Min.
Von Günter H. Jekubzik
Der aus Sarajewo stammende Regisseur Emir Kusturica sieht sich als Jugoslawe, nicht als Bosnier - auch wenn das traumhafte, utopische Ende dieses Films andere Deutungen zuläßt. 1989 schuf er im noch vereinten Jugoslawien mit "Time of the Gypsies" ein vielfach ausgezeichnetes Meisterwerk und einen faszinierenden "Heimatfilm". Heute lebt Kusturica in den USA, wo er auch die Johnny Depp-Tragikomödie "Arizona Dream" mit den amerikanischen Stars Jerry Lewis und Faye Dunaway drehte. Nun faßt er 50 Jahre jugoslawischer Geschichte in "Underground" zusammen. Von deutschen Bombardements des Belgrader Zoos 1941 bis zu den aktuellen Kriegen der ehemaligen "Jugoslawischen Brüdervölker" verbindet er die Geschichte des Landes und einzelne Schicksale in einem prallen Reigen. "Underground", die Parabel über Menschen, die jahrelang im Untergrund getäuscht wurden, gewann die Goldene Palme in Cannes. Es ist eines dieser großartigen, nationalen Filmepen wie Bertoluccis italienisches "1900" oder "Die Wanderschauspieler" vom Griechen Theo Angelopoulos. Unfaßbare Geschichtswirren, die für einzelne Menschen zu groß bleiben, werden durch diese seltenen Meisterwerke sinnlich. Die beiden Helden Marko und Blacky sind lebenstolle Gauner - selbst unter dem Bombenhagel vergnügen sie sich völlend und vögelnd weiter. Die "Blues Brothers" von Belgrad. Nur die Liebe zur Schauspielerin Natalija, die der deutsche Offizier Franz für sich okkupierte, treibt die beiden südländisch impulsiven Mannsbilder in den Untergrund, wo sie ihre üblichen Tätigkeiten fortsetzen: Stehlen, Lügen und Betrügen. Vom wahnwitzigen Tempo einer Bläsercombo - die Musik komponierte erneut Goran Bregovic - wird die Geschichte weitergetrieben. Die Deutschen sind besiegt, Tito herrscht, doch Marko (be-) hält den Freund zusammen mit anderen Genossen im Keller, um als Kommunist mit Natalija Karriere zu machen.Das Leben im Schutzkeller, abgeschlossen von der Welt, eingeschworen auf den Helden Tito, in dauernder Kampfbereitschaft gegen den faschistischen Aggressor - all diese Bilder enthält Kusturicas "Underground". Als der im Keller geborene Sohn Blackys nach zwanzig Jahren das Mondlicht erblickt ("Sieh Vater, die Sonne"), geht er unter, bevor das richtige Leben beginnt.Kusturica erzählt nicht nur vom prallen Leben und Sterben, er inszeniert es auch üppig und grotesk überzogen. Bei der Folter mit Elektroschocks läßt der Slapstick die Haare zu Berge stehen; wie ein jugoslawischer "Forrest Gump" wird Marko in Historienbilder einkopiert. Vielleicht läßt sich solch eine Vergangenheit nur mit wildem Humor ertragen - die Episode der letzten Kriege bleibt jedoch rein blutig, düster und bedrückend."Underground" ist mit mannigfaltigen Stimmungen und Stilen ein unbeschreibliches Epos, dem jede Zusammenfassung schadet. So bleibt es auch bedauerlich, daß Kusturica seine erste, sechsstündige Fassung von "Underground" um die Hälfte kürzen mußte.
Eine Kritik vonGünter H.Jekubzik
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