ghj-logo

Der Soldat James Ryan

USA 1998 (Saving Private Ryan) Regie Steven Spielberg, 168 Min.

Wieder macht die Diskussion um den "Antikriegsfilm" die Runde. Sowenig wie es ihn gibt, sowenig ist "Der Soldat James Ryan" realistisch. Auch nicht in den ersten Szenen von der Landung amerikanischer Truppen am bald blutgetränkten Strand der Normandie. Wenn diese Momente realistisch wären, würden die meisten Zuschauer es nicht überleben - zumindest nicht, ohne zu kotzen. Ganz wie es die alliierten Soldaten in ihren Landungsbooten taten, noch bevor diese strandeten und die Toren öffneten für ein ungehindertes Scheibenschießen der deutschen Soldaten in den Bunkern. Noch im Boot fliegen die Körper in Fetzen davon, der lange Weg zum Strand und dann bis zum Stacheldraht vor den Dünen ist ein extrem grausamer Horrortrip mit aufgerissenen Gedärmen, weggeschossenen Armen, Beinen und Gesichtern. Das ganze Szenario des bislang schwer vorstellbaren Grauens ist in extremer Dichte gefilmt, die (blutbespritzte!) Kamera mittendrin, der Sound von Kugeln, Explosionen und Schreien kommt unentrinnbar von allen Seiten des Kinosaals. Doch besonders eindringlich wirkt das massenhafte Sterben lautlos unter Wasser: Ein kurzer Moment der Ruhe, auch wenn das Töten hier weitergeht. Der Sinn dieses Kriegsfilms mit den extremen Anfangsszenen bleibt bei alldem grundsätzlich fraglich: Die einen handeln sich Übelkeit und Alpträume ein, die anderen werden abwinken, in Splatterfilmen hätten sie das alles viel blutiger und drastischer gesehen.

"Mama, ich will nach Hause!"

Nachdem dieser Einstieg dafür sorgt, daß man sich in diesem Film nie mehr sicher oder wohl fühlen wird, ereilt Captain John Miller (Tom Hanks) der titelgebende Auftrag: Findet den hinter den feindlichen Linien abgesprungenen Soldaten James Ryan (Matt Damon). Seine drei Brüder starben an den weltweiten Fronten des 2. Weltkrieges, nun soll der Mutter in Iowa wenigstens ein Sohn erhalten bleiben. Schnell wird deutlich, daß hier ein anderer Film startet: Es geht um "Nach Hause (telefonieren)" und es geht um Familie - die großen Themen des US-Film. Nicht nur bei Spielberg. So wird dramaturgisch exzellent das Unfaßbare des tausendfachen Sterbens am Einzelfall zum Nachempfinden aufbereitet. Allerdings fragen sich Miller, sein schnell dezimiertes Team und auch das Publikum, wo der Sinn dieses Himmelfahrtskommandos liegt. Fast drei Stunden läßt die Botschaft auf sich warten, der Film führt derweil das "A-Team", den Bürger in Uniform und die Bekehrung eines widerspenstigen Pazifisten (volkstümlich Feigling genannt) vor. Dann richtet sich der filmische Zeigefinger an James Ryan und alle anderen Überlebenden und Nachgeborenen: "Earn this!" - Verdiene dir das Leben, das wir dir so blutig erkämpft haben. Nach aller effektiven Banalität, nach verhalten heroischem, aber doch widerlichem Kriegsspiel erreicht diese Vision eine höhere Ebene: Der Kampf gegen die ("fair" dargestellte) Wehrmacht muß seinen Sinn nachträglich in einem erfüllten Leben in Freiheit finden. Eine schwere Last, wie die Rahmenerzählung zeigt. Eine Bürde ähnlich jener der Juden, die den Holocaust überlebt haben. (Jüdische Soldaten und Kriegsgräber vergaß Spielberg im Gegensatz zu anderen Kriegsfilmen übrigens nicht.)

Überhaupt Spielberg: Ebenso wenig wie seine Helden "Indiana Jones" als Retter des verlorenen Schatzes und Schindler als Retter seiner jüdischen Arbeiter unter ein Autorenkonzept passen, lassen sich der Kriegsulk "1941 - wo, bitte, geht´s nach Hollywood" und "Der Soldat Ryan" vergleichen. Eine Werkbetrachtung Spielbergs macht anscheinend nur in der Trennung von Kinder- und Erwachsenenphase Sinn. Zuerst drehte er exzellent spannenden ("Duell", "Der weiße Hai"), unterhaltsamen und kitschigen ("E.T.", "Always", "Hook") Kram, spielte mit Dinosauriern und Computern rum. Dann überraschte er mit dem ernsthaft schockierenden Holocaust-Film "Schindlers Liste", arbeitete amerikanische Sklavengeschichte auf und bringt nun ein historisches Ereignis auf einen sehr menschlichen Punkt. Nach seiner Position im Bestsellerhimmel verdient er sich damit endgültig einen herausragenden Platz in der Film-Geschichte.


Eine Kritik von Günter H. Jekubzik

realisiert durch
Ein Service von
arena internet service
FILMtabs-Logo