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Mit aller Macht

USA 1998 (Primary Colors) Regie Mike Nichols, 143 Min.

Er hat graue Haare, eine leicht heisere Stimme und war einstGouverneur eines US-Staates. Die Ähnlichkeiten desamerikanischen Politikers Jack Stanton (John Travolta) zu BillClinton sind unübersehbar, und Medien sei Dank ist diese stark-eGeschichte immer noch Thema - auch fünf Monate nach dem US-Startdes Films am 20. März 1998.

Eine sehr rührender Auftritt des Kandidaten Stanton bei einemAnalphabetisierungsprojekt macht von Anfang an klar: hier wird mitdoppeltem Boden gespielt, Lüge und Inszenierung gehören zumpolitischen Geschäft. Stellvertretend für unsere naivenHoffnungen auf eine hehre Politik tritt Henry Burton (Adrian Lester)ein junger afroamerikanischer Aktivist in das eher geniale alsschlagkräftige Wahlkampfteam Stantons ein. Die schillerndenTypen, die er jetzt kennenlernt, und noch mehr ihre Machenschaftenstellen die Aufrichtigkeit von Politik erneut sehr komisch inFrage.

Denn bei Clintons erstem Verhör vor der Grand Jury im August1998 bewiesen die Nachrichtensprecher und Kommentatoren, wie gut sieim Kino aufgepaßt hatten. Die dichte Folge von innenpolitischerSchmuddelkrise und befreiendem Bombenangriff gegen den Sudan undAfghanistan erinnerte alle an Barry Levinsons Parodie "Wagthe Dog".

In "Mit aller Macht" geht es um das parteiinternenAusscheidungsrennen zur amerikanischen Präsidentschaftswahl. DieSkandale mit leicht entschlüsselbaren Namen wie Clearwater(statt Whitewater) häufen sich zwar, doch Spott und Zynismus derliterarischen Vorlage zulasten eines unersättlichenSchürzenjägers wurden zurückgenommen. Stattdessenversucht der Film, Qualitäten einer charismatischen Figurherauszustellen und stellt die Frage, ob wir nicht für einesogenannte "bessere Politik" die Kröte einer moralisch nichtbesonders hehren Person schlucken sollen. Ein simples Argumentlautet: Hitler soll Eva Braun immer treu gewesen sein. Macht ihn daszum besseren Politiker?

John Travolta zeigt hier in kleinen Gesten, die Clinton imitieren,daß er tatsächlich hervorragend Schauspielen kann. EmmaThompson bleibt trotz einiger großer wütender Auftrittenur die "Frau an seiner Seite". Eine Affäre derPräsidentengattin mit dem Wahlkampfmanager Henry Burton wurdenach Testvorführungen aus dem Film geschnitten. DasChamäleon Billy Bob Thornton ("SlingBlade", "U-Turn", "Apollo")zieht wieder als hochintelligenter, rassistischer Texaner RichardJemmons die Antipathien auf sich.

Das Pathos einer sauberen Wahl-Kampagne bleibt unerreichbaresIdeal. Eine ehemalige Mitstreiterin Stantons zerbrach an ihm und fandsich in der Nervenheilanstalt wieder. Diese Libby (Kathy Bates) istdie tragischste und bewegendste Figur des Machtspiels. In einemdurchgehend unterkühlten Film beschert sie den emotionalenHöhepunkt und belegt damit, daß Gefühle in derPolitik nichts zu suchen haben.

Das ist im Detail interessant und kann auch einer ernsthaftenKneipendiskussion Grundlage sein, doch zum richtig packenden Filmreicht es nicht. Der Film zielt besonders deutlich auf dasUS-Publikum ab. Die Vorlage sorgte bei ihrem Erscheinen fürenormes Aufsehen. Wer war der anonyme Schreiber, der so detailliertaus dem innersten Kreis des Clinton-Stabes berichtete? Daß dierecht lange Umsetzung handwerklich sehr professionell und mit etwasBiß realisiert wurde, verdanken wir dem Regie-Veteranen MikeNichols ("Die Reifeprüfung", "Working Girl", "Grüßeaus Hollywood", "In Sachen Henry", "Wolf","The Birdcage"). Einamerikanischer Kritiker fragte denn auch, was dieser Film in Bezugauf Clinton bedeute: Einen Angriff, einen Rückzug oder eineEntschuldigung. Verschiedene Argumente vergeben: Die Presse sei anallem Schuld. Oder: Das sei halt der Preis der Macht.


Eine Kritik von GünterH. Jekubzik

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