In stürmischen Zeiten

GB/F 2000 (The man who cried) Regie und Buch Sally Potter, 97 Min.

Dies könnte ein großes Epos sein von Vertreibung, Flucht, Krieg, Auswanderung und der immer währenden Suche nach dem geliebten Vater. Sally Potter gelingt es jedoch, die Odyssee des kleinen, ost-jüdischen Mädchens Fegele über England und Frankreich bis in die USA als intime Geschichte zu erzählen.

Ein Pogrom im Russland des Jahres 1927 bringt ein kleines Mädchen auf die Reise, immer auf der Suche nach dem Vater, der vorher ins gelobte Amerika auswanderte. Bei der Flucht durch nieder gebrannte jüdische Dörfer verliert das Kind die ganze Familie und landet schließlich alleine in England.

Susan, wie sie jetzt genannt wird, bleibt schweigend im fremden Land. Nur Singen könnte sie, doch das heimatliche Jiddisch wird ihr ausgetrieben. Mit einer Revuetruppe kommt die Erwachsene (Christina Ricci) als Tänzerin nach Paris, erfährt parallel zum Einfall der Deutschen in Polen vom Antisemitismus auch bei den Franzosen. Auf der Bühne einer kleinen, jüdisch geleiteten Oper treffen die Fronten aufeinander. Dante (John Turturro), der herrische Star aus Italien lässt dort seine Launen an den Statisten aus. Er ist der "italienische Bauer" mit Minderwertigkeitsgefühlen, die im Faschismus von Mussolini aufgefangen werden. Was Dante zum Antisemiten macht, ihn später für die Sieger singen lässt, während die deutschen Soldaten ein Zigeunercamp überfallen.

Das Opfer ist Cesar (Johnny Depp), ein melancholisch drein blickender Zigeuner mit Pferd und Narbe. Mit der Jüdin und dem Zigeuner finden sich Verfolgte und Heimatlose im gemeinsamen Schicksal (ganz wie in "Der Zug des Lebens"). Vor dem Einmarsch der Deutschen in Paris flieht die Bevölkerung. Dante arrangiert sich mit den Siegern und verrät Susan. Das Liebespaar muss sich trennen, weil Cesar für seine Familie kämpfen will. Das letztes Goldstück von der russischen Großmutter schenkt Susan ihm zum Abschied. Sie selbst findet letztlich ihren Tate, den geliebten Vater, in Hollywood, wo er sich mit der Produktion von Musicals - wir sahen vorher im Kino Busby Berkeley-Szenen - verausgabt hat.

Im Vergleich zu Potters komplexer und kluger "Tango Lesson" wirkt dieser neue Film oberflächlich wie Trivialliteratur. Er erscheint stellenweise arg zusammengestrichen. Christina Ricci hätte wie einst Orlando/Tilda Swinton eindrucksvoll durch die Zeiten wandern können. "In stürmischen Zeiten" rollt sich ihr Weg ab, was zwar ganz ansehnlich aber nicht beeindruckend ist. Ricci sieht nicht aus wie ein Mädchen aus dem Osten, sie spielt als eine von der Geschichte Weggespülte zurückhaltend und passiv. Johnny Depp steht sein Gypsie-Part sehr gut, dank einiger Pferdekunststückchen sowie stimmungsvoller Kamera und Musik gar noch besser als in "Chocolat". Die Szenen mit ihm in den Straßen von Paris, die Abende voller Gypsie-Musik gelangen Sally Potter. Das sind kleine, bewegende Momente, von denen der Film einige bietet, ohne den Gesamt-Look und das Gefühl "rund" zu bekommen.


Eine Kritik von Günter H. Jekubzik

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