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Die Flügel der Taube

GB 1997 (Wings of the Dove) Regie Iain Softley, 101 Min.

Schon vom ersten Moment an ist der besondere Film zu spüren:Ein junger Mann bietet einer Frau in der Londoner U-Bahn seinen Platzan. Blicke treffen sich scheu, dann folgt er ihr zum Ausgang. Zuzweit im Aufzug kommt es zum gierigen Kuß, zurleidenschaftlichen Umarmung. Jetzt machen die intensiven Bilder klar:Die beiden kennen sich, dürfen ihre Liebe aber nicht zeigen.

Kate (Helena Bonham Carter) lebt bei ihrer ebenso vermögendenwie berechnenden Tante Maude (Charlotte Rampling). Als Halbwaise mitheruntergekommenem Vater ist die junge Kate auf die finanzielle undgesellschaftliche Fürsorge der eifrigen Kupplerin angewiesen. Esist das Jahr 1910, "Liebe" ist in Londons Gesellschaftskreisen eineFunktion von Besitz, Stand, Bildung und seltenst von Gefühl. Sofolgt Kate widerwillig den unverhüllten Einladungen desverarmten Lords Mark, trifft sich aber heimlich mit dem sozialengagierten und mittellosen Journalisten Morton (Linus Roache). Maudebedenkt ihr Stiefkind mit reichem Schmuck und billigenErniedrigungen: "Du brauchst etwas Neues zum Anziehen, sonst siehstdu aus wie ein Dienstmädchen."

Doch die HenryJames-Verfilmung ist nicht einfach die melodramatische Geschichteeiner jungen Frau, die sich für ihren opiumsüchtigen Vaterverkaufen muß. Peinlich genau zeichnet der Film Beziehungennach und entkleidet sie jeder Romantik: "Wie lange hält dieLiebe ohne Geld?" Kates dunkler Blick schwankt zwischen Sehnsucht undHärte wenn sie versucht, Gefühlsbeziehung undgesellschaftlichen Aufstieg auszubalancieren. Schon hat sie einevorläufige Trennung von Morton durchgezogen, um den Lord zuheiraten, da tauchen mit einer reichen jungen Frau neue Perspektivenauf. Erst freundet sich Kate mit Milly an, dann treffen die beidenwie zufällig zwischen Gustav Klimts erotischen Bildern aufMorton. Doch als Kate von der tödlichen Krankheit derlebenshungrigen "Prinzessin" erfährt, denkt sie nur noch an dasfinanzielle Erbe, das ihre Liebe retten könnte. Während derLord seine schäbige Mitgiftjagd ebenso wie seine Gefühleoffen eingesteht, versucht sich Kate laienhaft im hinterhältigenRänkespiel.

Für diesen gefühlvollen, aber nichttränendrüsigen Film trafen zwei interessante Künstlerzusammen: Den 1916 in London gestorbenen amerikanischen Autoren HenryJames kennt auch der cineastische Fan von sozial bewußtenHistoriengemälden und kostümierten Frauengeschichten seitNicole Kidmans ergreifendem "Portraitof a Lady". Iain Softley hätte man nicht als geeignetenRegisseur für einen James-Stoff erwartet: Erst zeichnete er dasLeben des fünften Beatles mit dynamischen, intensiven Strichenin "Backbeat" nach, dann brach er indie spannende Szene von hippen Computerkids, von "Hackers",ein. Den "Flügeln der Taube" bringt er nun auffälligeStilakzente bei, ohne die emotionalen Schwerpunkte zu gefährden.Trotz wunderschönen und sehr intensiven Szenen - vor allem inVenedig - sind "Die Flügel der Taube" kein Sozialmärchenmit Happyend. Der äußerlichen Schönheit der Bildersteht die absoluten Unsicherheit der Gefühle entgegen. Imnuancierten Maskenball der drei jungen Menschen, denen alleMöglichkeiten offen stehen, verkleidet sich allein Milly als"Prinzessin" nicht. Bitterer Zynismus steckt in der Tatsache,daß sich nur die Todkranke ehrliche Gefühle "leistet".

Am Ende erhält Kate einen Briefumschlag mit den Worten "Dasist dein Preis". Doch sie mußte nicht nur sich selbstverkaufen, auch die Liebe mit der alles begann, ist erschreckendschal geworden.


Eine Kritik von GünterH. Jekubzik

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