ghj-logo

Europa

1991 (Europa) Regie und Buch Lars von Trier

Eins: Sie lesen jetzt eine Kritik über "Europa". Bei "Zehn" werden Sie in die Welt des dänischen Regisseurs eingeführt sein, sich erheben und ins Kino gehen.

Zwei: Film ist Hypnose. Dies sagt Lars von Trier. Gemeint sind nicht nur seine Protagonisten, deren Hypnose-Traum fast immer die Handlung seiner Spielfilme ist.

Drei: Bei jeder Film-Illusion befinden sich auch die KinozuschauerInnen in einer Hypnose-Situation. Das Licht im Saal erlischt langsam. Über dem eintönigen Bildrauschen von Zuggleisen zählt eine dunkle Stimme (im Original Max von Sydow) von Eins bis Zehn. Sie versetzt Leopold Kessler (Jean Marc Barr - wer ihn aus "Im Rausch der Tiefe" kennt, weiß daß Tauchen angesagt ist) und uns ins "Europa" des Oktober 1945.

Vier: Sie sind in "Europa", im verregneten Gleisdreieck zwischen Frankfurt, Berlin und München ("The Element of Crime", von Triers erster Spielfilm spielte in einem Städteviereck). Leopold Kessler, ein Amerikaner deutscher Abstammung, wird bei der Zuggesellschaft Zentropa die Ausbildung zum 1.Klasse-Schlafwagenschaffner beginnen. Er wird sich in Katharina, die Tochter des Zentropa-Besitzers Max Hartmann, verlieben. Er wird zwischen die Fronten von amerikanischen Besatzern und der faschistischen Werwolf Organisation geraten.

Fünf: Sie erinnern sich jetzt an "The Element of Crime". Es war ein film noir, der durch ein dreckiges Gelb nur noch schwärzer wurde. Der Detektiv Mr. Fisher ließ sich in Kairo hypnotisieren, um seine vergangenen Europa Erlebnisse zu verarbeiten: Der Kriminalfall um den Lottomörder spielte sich in einem absurden, futuristisch zerfallenem Deutschland ab, in dem es dauernd regnet (ein Großteil des Film spielt so unter Wasser) und das brutale, häßliche Chaos herrscht. Getreu der Methode "The Element of Crime" seines Lehrers, begab sich Fisher immer tiefer in das Leben des vermeintlichen Täters. Am Ende blieb alles im Dunkeln und es schien Fisher unmöglich, aus der Hypnose zurückzukehren. "The Element of Crime" hinterließ einen Eindruck faszinierter Verwirrung.

Sechs: Sie erinnern sich an Lars von Triers zweiten, kaum gezeigten Film "Epidemic". Die schwarz weiß gefilmte, witzige Entstehung eines Drehbuchs zu "Epidemic" ist mit Fragmenten dieses Pestfilms vermischt. Minutenlang wird am Ende eine weinende, schreiende Frau gezeigt, die in Hypnose durch eine verseuchte Stadt geht und nicht aus der schrecklichen Trance befreit werden kann. Auch hier zählt Lars von Trier (diesmal nicht nur mit Nebenrolle wie als Persilschein-Jude in "Europa") von Eins bis Zehn, bevor er in ein nasses Industriedeutschland eintaucht.

Sieben: Sie achten auf den Stil der Filme: Lars von Trier mag es schwierig. In "The Element of Crime" wählte er nie die einfachste Kameraeinstellung. Spiegel helfen oft, ungewöhnliche Blickwinkel zu finden und verschiedene Elemente in einem Bild zusammenzufassen. Lange Fahrten verwirren die Orientierung.

Acht: Sie wundern sich über die ungewöhnlichen Bilder in "Europa". Mehrfachbelichtungen bringen bis zu fünf Ebenen zusammen. Farbe wird selten und nur mit deutlicher Signal Wirkung eingesetzt. Schauspieler reden mit Rückprojektionen und tauchen darauf selber in dem vorher gefilmten Material auf.

Neun: Sie vergleichen "Europa" mit "Element of Crime" und sehen, daß trotz vieler Experimente, von Triers Stil gemäßigter, konventioneller geworden ist. Immer noch eine Bereicherung des Geschichtenkinos, tendiert "Europa" zum konventionellen Erzählen.

Zehn: Sie sind trotzdem gespannt auf diesen Kompromiß zwischen "Experimental-" und Erzählkino. Sie stehen auf, machen den Fernseher aus und gehen ins Kino.


Eine Kritik von Günter H. Jekubzik

realisiert durch
Ein Service von
arena internet service
FILMtabs-Logo