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Bis zum Horizont und weiter

BRD 1998 (Bis zum Horizont und weiter) Regie Peter Kahane, 89 Min.

Zusammenwachsen, was zusammengehört - wie leicht sich das sagen ließ. Wie weit der Weg dahin tatsächlich ist, zeigt sich, wenn mal ein Film "aus dem Osten" ins Kino kommt. "Bis zum Horizont und weiter" ist weitgehend ein Film von "drüben" und ein exzellenter noch dazu.

Die Obdachlose Katja Pfeifer (Nina Petri) wird von der Richterin Beate Nelken (Corinna Harfouch) zu drei Jahren verurteilt. Katja ist entsetzt und verzweifelt. Ihr Freund Henning Stahnke (Wolfgang Stumph) kam zu spät zur Verhandlung, doch jetzt ergreift er Initiative, verfolgt die Richterin in die einsame Wohnung, betäubt sie und startet mit seinem alten Daimler eine Geiselnahme.

"Streßverhalten und Reiz-Reaktions-Mechanismus bei Geiselnehmern" war das Thema der Promotion von Beate Nelken, doch ein Fall wie dieser Henning kam darin nicht vor. Scheinbar einfältig, aber fest entschlossen versteckt er seine Geisel in einem riesigen Baggerloch. Wenn sie wieder überspannt, ignorant und arrogant herumquaselt, gibt's auch was auf die Nase. Sein besonderer Musikgeschmack beschert dem Film die Rubettes, die Turtles und selbstverständlich Udo Lindenberg mit dem titelgebenden Lied. Die Forderung, Katja freizulassen, stellt die Polizei und den Verteidiger (Heinrich Schafmeister) vor große Probleme, denn die hat sich mit Hilfe ihrer Zellengenossin Comtessa (Sissi Perlinger) längst abgesetzt.

In der ländlichen Idylle eines durch Braunkohle-Umsiedlung verlassenen Hauses findet das Trio aus Entführer, Geisel und Geliebte bei Hennings sehr seltsamen Mutter Unterschlupf. Irgendwann entdeckt die Richterin ihr Herz und ist alkoholisch angeheitert prompt bereit, sich auch mal für Gerechtigkeit einzusetzen. In der Trümmerlandschaft blüht ein kleines, unmögliches Glück, doch die Polizei ist schon unterwegs.

Es riecht nach Teer, faulen Eiern, bitteren Mandeln ... wo sind wir hier? Vielleicht in Bitterfeld oder bei irgendeinem anderen Trümmerfeld von Industrie und Geschichte. Das tragikomische Ost-Roadmovie zaubert die besondere Romantik eines riesigen Baggerlochs a la Hambach herbei. Es sind eindrucksvolle, ganz einzigartige Bilder, welche die Härte einer Region zum Kinogenuß wandeln. Bilder weit entfernt von dem flachen, banalen deutschen Kinoeinerlei. Das gilt auch für die Figuren mit einer ganz schön beschissenen Vergangenheit. Beim Urlaub wurde ihnen alles geklaut, auch zuhause räumten die Diebe ab, Hilfe nahm das Paar nicht an und landete auf der Straße. Doch sie schultern ihre tragische Geschichte mit Fassung, sind stolze Verlierer ohne jede realistische Hoffnung.

Der 1949 in Prag geborene Regisseur Peter Kahane arbeitete sich bei der DEFA hoch, studierte in Babelsberg Film. Nach der Wiedervereinigung schrieb er vor allem TV-Drehbücher, etwa für "Polizeiruf 110", "Peter Strohm" und für die Krimiserie "Von Fall zu Fall" mit Wolfgang Stumph. Das Buch zu "Bis zum Horizont ..." stammt vom in Cottbus geborenen Bühnenautor Oliver Bukowski, bei dem die Hauptfigur noch Bahlke hieß. Doch Hauptdarsteller Wolfgang Stumph blieb der Tradition treu, die seine Rollennamen mit "St" beginnen läßt: Nach Struutz in "Go Trabi Go" hieß er Stankoweit in "Salto Postale" und "Salto Kommunale" und Stubbe als sächsischer Kommissar in "Von Fall zu Fall". Wolfgang Stumph, der nach Kabarettstart zum DDR-Fernsehen kam, alberte nach dem Mauerfall als Postbeamter im gesamtdeutschen Fernsehen herum. Aber er hat auch das Zeug zum ernsthaften Schauspieler, das zeigt die Sanftheit, mit der er als ehemaliger Baggerführer im Tagebau Fortschritt seinen verwaisten Braukohle-Bagger betritt. Die Harfouch spielt hervorragend wie immer, ist halt eine der besten, intensivsten Darstellerinnen Deutschlands, in der Komödie wie im Drama, auf der Bühne, im Fernsehen oder im Kino. Der leise Humor steht der vorlauten, nervös spielenden Corinna Harfouch ("Solo für Klarinette") hervorragend. Auch Kameramann Gero Steffen erhielt seine Ausbildung in Ost-Berlin, mit "Knockin' on Heaven's Door" drehte er seinen ersten Kinofilm.


Eine Kritik von Günter H. Jekubzik

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