Auf den ersten Blick

USA 1999 (At first sight) Regie Irvin Winkler, 129 Min.

Zeit des ErwachensII

Ein Schwerkranker wird durch eine für unmöglichgeglaubte Rettung geheilt. Allerdings nur für kurzer Zeit, nachder er wieder in den alten Zustand verfällt. Alles klar, das ist"Zeit des Erwachens"(Awakenings) mit Robert De Niro und Robin Williams? Knapp daneben: Imemotionalen Ablauf der Krankengeschichte ist die Ähnlichkeit zuOliver Sacks anderer Story unübersehbar. Doch diesmalerzählte er vom kurzen Erwachen eines Blinden.

Virgil Adamson (Val Kilmer) arbeitet als Masseur in einemSporthotel. Wir haben längst erkannt, daß er blind ist,nur seine Patientin Amy (Mira Sorvino) braucht noch eine unglaublichlange Weile um zu begreifen. Dann kommen dieBlinde-können-besser-hören-Klischees ganz dick. (Weshalbmacht keiner einer Film darüber, daß depressiveArbeitslose mit geschlossenen Augen das Knacken von Hansa-Bierdosenbesser erkennen können?) Amy macht ein paar naiveIch-bin-auch-blind-Spielchen und bald geht die erotische Massage auchprivat weiter. Es ist zwar nicht Liebe auf den ersten Blick, aber diebeiden kommen sehr gut miteinander zurecht.

Zum Mißfallen von Virgils älterer Schwester Jennie(Kelly McGillis), die auch schon die nächsten Schritte ahnt: Amyfragt sich, warum Virgil nicht versucht, die Blindheit zu heilen.Anfangs will er keine Behandlung - aus Angst, seine vertraut dunkleUmgebung aufzugeben. Der Sinneswandel kommt dann aberüberraschend zügig und die Operation von Dr. Aaron (BruceDavison) ist sogar erfolgreich. Nach ersten hellen Schemen kannVirgil Gegenstände sehen, jedoch nichts erkennen. Das Gehirnkommt nicht mit, kann die neuen Informationen noch nicht verarbeiten.Erst mit Hilfe des ihm vertrauten Tastsinns lernt er die Bildererkennen, die uns täglich vor Augen sind. Einer der amschwierigsten zu fassenden Eindrücke ist das Bild von sichselbst, das der Spiegel zurückwirft. Starke Selbstzweifelzwingen Virgil zu einer neuen Selbstkonstruktion über die Sicht.

Das sind die Momente, in denen der träge Film etwas Interesseerzeugen kann. Virgil erscheint erst als Sehender behindert, was auchfür die Liebe von beiden abträglich ist. Ein heftigerStreit läßt beide deutlich sehen, daß Amy vor allemvon den Heilungsmöglichkeiten beim Patienten fasziniert war,weniger vom Menschen. Das kurze Zitat aus dem Musical "My fair lady"(The rain in spain ...) ist da sehr treffend! "Mrs. Higgins" will denarmen, blinden Jungen zu einem kompletten Menschen formen ...

So richtig glaubhaft war schon nicht, daß Amy VirgilsBlindheit erst so spät merkt. Auch ansonsten wird vieles sehrdeutlich und zu grob geschildert. Die Musik von Mark Isham klimpertnicht nur während der Massage übermäßig seichtherum. Bis auf eine gute halbe Stunde und den düsterenWendepunkt vor dem Ende ist die ganze Heilungsgeschichte extremschleppend.

Schade, da doch gerade solch ein Thema dem Kino "ungesehene"Möglichkeiten eröffnet: So wie im Thriller"Blink" spielt das Sehen im Gegensatzzum Nichtsehen eine besondere Rolle. Wie stellen sich erste Blicke,erste Seherfahrungen dar? Die ersten Momente sind einüberstrahlter Schock, danach ein Effekt verwischterEindrücke, bevor ganz New York als Seeschule dient. Optischstellte der ebenso erfahrene wie erfolgreiche Regisseur und ProduzentIrvin Winkler ("Das Netz","Schuldig bei Verdacht") diese umwerfenden Erfahrungen nichtbesonders reizvoll dar. Auch hierin liegt eine Verwandtschaft zu"Zeit des Erwachens":Als De Niro nach Jahrzehnten fast völliger Abwesenheit seineStadt erstmals wieder erlebt, müßte das einüberwältigender Eindruck sein - den dieser Film aber nichtvermitteln konnte. Ebenso verhält es sich mit fast jedem Elementvon "Auf den ersten Blick". Val Kilmer, der sein Lächelnverliert und es wieder gewinnt, kann noch etwas Charme ausspielen.Mira Sorvino gelingt es in einer witzig gedachten Szene nicht mal,ein paar originelle Grimassen zu schneiden. Den Rest kann man sichvorstellen oder läßt es besser.


Eine Kritik vonGünter H.Jekubzik

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