Sprich mit ihr

Spanien 2002 (hable con ella) Buch und Regie: Pedro Almodóvar Mit: Javier Camara, Dario Grandinetti, Rosario Flores, Leonor Watling, Geraldine Chaplin, Pina Bausch. 116 Min.

Was Männer wollen: Frauen, die nicht widersprechen und sich auch ansonsten möglichst ruhig verhalten - das wäre die platte Quintessenz von "Sprich mit ihr". Oder was sollen wir davon halten, dass ein Krankenpfleger seine Patientin heiraten will, die seit vier Jahren im Koma liegt? "Wir verstehen uns besser als viele andere Paare!" Doch "Sprich mit ihr" ist ein Film von Pedro Almodóvar und da ist seit einigen Jahren nichts mehr platt oder banal. Mit "Mein blühendes Geheimnis", "Live Flesh" und "Alles über meine Mutter" hat der Spanier kunst- und reizvoll wie kein anderer die Seelen besonderer Figuren mit seinen Geschichten erkundet, nein: nur berührt und ihnen gehuldigt. Während er nach seinem ersten Erfolg "Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs" vor allem mit grellen und knallbunten Mitteln erzählte, verband er seine immer intensiveren Meisterwerke zuletzt mit den Genre-Elementen des Melodrams. Nun, angesichts "Sprich mit ihr", ist der Kritiker angetan, überrascht und etwas orientierungslos.

Zwei Männer sehen sich Pina Bauschs Ballett Cafe Müller an. Der eine weint, der andere wundert sich. Es wird eine Weile dauern, bis sie sich wieder sehen. Dann hat jeder eine Frau im Koma, als Nachbarn im Krankenhaus lernen sie sich kennen. Benigno (Javier Camara) kümmert sich als Krankenpfleger Tag und Nacht um die junge Tänzerin Alicia (Leonor Watling), liebevoll schneidet und wäscht er ihre Haare, erzählt ihr vom letzten Ballettabend. Die Vorgeschichte dieser seltsamen Beziehung ist verrückt und faszinierend. Marco (Dario Grandinetti) besucht die unter einen Bullen geratene Stierkämpferin Lydia (Rosario Flores). Doch er spricht nicht mit der Frau ohne Heilungschancen.

Es geht um Männer und ihre seltsamen Beziehungen zu Frauen, wenn ein schaurig morbides Verhältnis als die "vier schönsten Jahre meines Lebens" bezeichnet werden. Da ist dann das "weibliche Gehirn ein Mysterium" ... Doch jede von Almodóvars vier Hauptfiguren hat eine gewaltige Faszination und ein ungewöhnliche Geschichte, die einen eigenen Film wert wäre. Und dann gibt es noch ebenso exzellent gespielte Nebenrollen wie etwa Geraldine Chaplin als Alicias Tanzlehrerin. Die Erzählstränge sind verspielt, raffiniert ineinander verflochten.

"Sprich mit ihr" - ein Film, den man mit Aufmerksamkeit entdeckt, den man unbedingt wieder sehen möchte. Einzelne Szenen verstrahlen eine fast sakrale Aura. Die seltsamste und witzigste ist kompletter kleiner und für Spanien sehr gewagter Stummfilm. Der Anstand, der Respekt, den Alicias Körper dann wiederum bei den Waschungen erfährt, ist atemberaubend. Dabei erzählt Almodóvar sehr ruhig, sehr fein, ohne die Genrespielereien der letzten Werke. Die monochromen Farben sind immer noch kräftig, werden aber dezent eingesetzt. Auch die großen Gefühle sind nicht offen sichtlich. Trotzdem erzählt "Sprich mit ihr" eine großartige Geschichte, voller unerhörter Begebenheiten und Beziehungen.

Es bleibt die Frage, ob dieser neue Almodóvar sich seiner tiefen und bewegenden Geschichte so sicher ist, dass er auf (vielleicht) störende Effekte verzichtet? Oder hat er seinen Schwung verloren? Die nächsten Almodóvars werden es zeigen - ich bin gespannt.


Eine Kritik von Günter H. Jekubzik

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