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Sonnenallee

 

BRD 1999 (Sonnenallee) Regie Leander Haußmann, 101 Min. FSK ab 12

Pünktlich zum 50. Jahrestag der erst seit wenigen Jahren ehemaligen DDR startet eine Komödie über die DDR in den 70gern: Die Sonnenallee in Berlin hatte zwei Enden. Das kürzere bekam - wieder einmal - die DDR ab. Mitten in das Leben der Sonnenallee direkt an der Mauer stürzt uns die Zeitmaschine Film.

Micha Ehrenreich (Alexander Scheer), ein aufmüpfiger Rocker, übt mit seinen jugendlichen Freunden tagtäglich die Revolte des kleinen Sozialisten. Meist trifft es den Abschnittsbevollmächtigten (ABV). Allerdings muß Micha - passend zu seinem sowjetischen Namen - bald mit voll gespielter Überzeugung in die Volksarmee eintreten, um sich den Studienplatz in der UdSSR zu sichern. Mehr beschäftigen ihn nur noch die Träume von der blond weichgezeichneten Nachbarin Miriam (Teresa Weißbach). Michas Freund Mario (Alexander Beyer) stürzt sich hingegen voll in die wilden Parties mit Asthmamitteln als härteste Droge, wird kunstvoll "entbübt" und in die Lebensphilosophie Sabrinas, frei nach Sartre, eingeführt.

Spaß im Sozialismus ist angesagt. Die Ost-Verwandtschaft von Ekel Alfred amüsiert mit den Familiengesprächen über Anpassung und Parteizugehörigkeit. Für den Luxus eines Telefons simuliert man epileptische Anfälle. Wie die Faust ins Auge kommt der schmuggelnde Onkel Heinz (Ignaz Kirchner) aus dem Westen hinzu, der sich immer köstlich über den real existierenden Sozialismus her macht. Die einquartierte "Weltjugend" aus Sachsen wird vom Westfernsehen mit Rudi Carrells "Laufendem Band" und dem Testbild umgehend korrumpiert. Mutti (Katharina Thalbach) plant die Westflucht mit einem gefundenen Ausweis und altert dafür rapide. "Das Land kam ihnen riesig vor, vielleicht, weil ihr Mofa so langsam war" - selbst bei solchen zynischen Knallern lacht man nicht über die "Ossies", denn "Sonnenallee" ist kein Simpelchen wie "Go Trabi go"

Alles ist politisch und alles ist komisch. Autor Brussig ist überzeugt: "Die DDR eignet sich nur zur Burleske." Regisseur Haußmann empfindet es als unangenehmen Gedanken, dass man versucht, einen "vollkommen unrealen Zustand, in dem wir damals gelebt haben, realistisch zu machen." Deshalb sieht man dem Film auch seine Gebautheit an.

Unzählige Facetten des Ostlebens ergeben beste Unterhaltung und eine "Geschichte" mit verschiedenen durchs System erzwungenen Lebenswegen, unerwarteten Wendungen und einem Happy End in großer Solidaritätsszene. Dieses "Nach Fünf im Osten" macht Spaß, ist etwas ganz anderes als das antiseptische "Versprechen" der Margarethe von Trotta. Über die historische Wahrheit müssen sich andere streiten. Auf jeden Fall gibt es hier Menschen zu sehen, keine Thesen. Haußmann hat hervorragend neue Gesichter inszeniert, etwas ganz anderes als das heutzutage gängige Jugendgesicht. Brussig schrieb Dialoge, denen man keine "Intention" anhört. Bert Neumann, der Requisiteur der Volksbühne, versammelte die überzeugende Ausstattung mit selbst bemalten T-Shirts und dem problematisch zu bedienenden Mufuti (Mulitfunktionstisch).

Der äußerst lasche Diskoabend, eine System unabhängige Jugenderscheinung, das letzte Exemplar der Frauenzeitschrift Sybille am Kiosk, eine wilde Fete in der Sturm freien Bude, aufgeheizt mit selbst gemixten Drogen aus Hustenmedizin und Cola. Auch Regisseur Leander Haußmann, 1959 im ostdeutschen Quedlinburg geboren, sieht die DDR aus eigener Anschauung als totale Hippie-Republik, in der man seinen subversiven Spaß hatte und sogar Blaumachen konnte. Aufschlußreich erzählt dies das Interview von Regisseur und Autor Brussig aus dem Buch "Sonnenallee" (Quadriga Verlag Berlin). Haußmann, Intendant des Schauspielhauses Bochum, spielt selber auch immer wieder mal in Kinofilmen, etwa den Gefängnisdirektor in Detlev Bucks "Männerpension". Buck macht im Gegenzug jetzt in der "Sonnenallee" den übereifrigen "Abschnittsbevollmächtigten" (ABV).


Eine Kritik von Günter H. Jekubzik

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05.10.1999