Schwarze Tafeln

Iran/Italien 2000 (Takhté Siah) Regie Samira Makhmalbaf, 84 Min.

Wie Raben huschen die schwarzen Flecken durch eine karge Berglandschaft. Dann verstecken sich die Träger unter ihnen, bilden den schützenden Panzer einer Riesenschildkröte, schmieren ihn mit Lehm ein, zur Tarnung vor Helikoptern.

Seltsam mythische und archaische Bilder ziehen da mit den schwarzen Tafeln vorbei. Arme Wanderlehrer sind auf einer mühsamen Suche nach Schülern. Als sich die Gruppe auflöst, begleitet der Film zwei der "Tafeln" genannten Lehrer: Said und Reboir. Said trifft auf einen Zug kurdischer Flüchtlinge, die zur irakischen Grenze wollen, um in der Heimat zu sterben. Es sind nur alte Männer, mit Ausnahme der Witwe Halaleh und ihres Kindes. Said heiratet sie, seine Tafel gehört nun ihr. Nach einem kurzen Hochzeitsstündchen hinter der kleinen schwarzen Schutzwand gibt der frisch gebackene Ehemann in den kurzen Pausen der Flucht immer wieder Unterricht: "Ich liebe dich" schreibt er auf die Tafel ... Derweil schließt sich Reboir einer Schmugglerbande, bestehend aus Kindern, an. Sie sind zu arm, um ein Stück Brot abzugeben, ihre Lebensgeschichten lassen die Lehrer als ignorante Missionare, als Narren erscheinen. Auf steilen Bergpfaden hält die Tafeln nur auf. Denn Grenztruppen können hinter jeder Kuppe lauern. So begrüßen Schüsse und Tränengas auch die Alten an der Grenze. Man kriecht unter Kugeln zurück, ganz pragmatisch einigen sich Said und Halaleh auf eine Scheidung, sie nimmt die Tafel mit.

Die junge Regisseurin Samira Makhmalbaf (geb. 1980) ist wohl die erstaunlichste Figur der Makhmalbaf-Filmfamilie. Neben dem bekannten iranischen Filmemacher Mohsen Makhmalbaf ("Gabbeh", "Kandahar") arbeiten auch seine Tochter Samira, seine junge Ehefrau Marziyeh Meshkini ("The Day I Became a Woman"), der Sohn Maysam (als Fotograf) und auch schon die kleine Tochter Hana für diese Produktionsfirma, die sich unter http://www.makhmalbaf.com/ präsentiert.

Mit Drehbuch-Unterstützung ihres Vater Mohsen gelang Samira nach dem fast dokumentarischen Debüt "Der Apfel" nun ein weiteres Kunst- und Meisterwerk. Die elementare Geschichte erzählt sie reich an Metaphern mit Atem beraubender Kraft. Von der ersten Szene an findet sie unfassbare Bilder. Gleichzeitig zeichnen die "Schwarzen Tafeln" eine Dokumentation des Lebens in der elenden Grenzregion. (Sie wurde schon vom Kurden Bahman Ghobadis in dessen Erstling "Zeit der trunkenen Pferde" porträtiert. Ghobadi spielt nun den Lehrer Reboir.) Schon vor der Premiere der "Schwarzen Tafeln" in Cannes gab es im Mai 2000 großen Applaus für Samira Makhmalbaf. Nachher Standing Ovations und den Preis der Jury - als jüngste Preisträgerin in der Geschichte Cannes! Da scheint es irgendwo in Persien ein Gen für wunderbare Filme zu geben.


Eine Kritik von Günter H. Jekubzik

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