Reise nach Kandahar

Kameras statt Kanonen vor Kandahar

Iran/Frankreich 2001 (Safar e gandehar) Regie, Produktion, Buch, Schnitt Mohsen Makhmalbaf, 80 Min.

Aktualität ist ein zwiespältige Geschäft: Durch die neuerlichen politischen Umstürze in Afghanistan erlebt ein Film des Iraners Mohsen Makhmalbaf endlich die Aufmerksamkeit, die dieser Künstler mit seinen wunderbaren Werken verdient. Dabei steht sein einfacher und poetischer Stil dem lauten Tagesgeschäft konträr gegenüber.

Eine afghanische Exilantin kehrt aus Kanada in die verhasste Heimat zurück. Die Journalistin Nafas hat noch drei Tage Zeit. Dann verdunkelt die letzte Sonnenfinsternis des Jahrhunderts die afghanische Stadt Kandahar. In drei Tagen will sich ihre jüngere Schwester, die ihr Leben dort nicht mehr erträgt, umbringen. Nafas schließt sich Flüchtlingen an, die mit internationalen Hilfsdollars ausgestattet vom Iran her heimkehren wollen. Widerwillig legt sie die Burka, den traditionellen Ganzkörperschleier an, um sich den anderen Frauen eines Patriarchen anzuschließen. Bald wird ihr bunter Vespa-Laster ausgeraubt, Nafas muss alleine weiter, kauft sich mit dem Jungen, der gerade aus einer Koran-Schule flog einen ungeeigneten Führer durch die Minenfelder der Wüste. Unter Hilfe eines Amerikaners, der als Araber verkleidet medizinische Hilfe leistet, erreicht Nafas eine UNO-Hilfsstation und setzt ihre Odyssee mit einem Gauner inmitten einer farbenprächtig verschleierten Hochzeitsgesellschaft fort. Doch die scharfe Kontrolle vor der Stadt sortiert die Gruppe gnadenlos auseinander, zurück bleibt nur ein Wasserkrug ...

Dieses Vermächtnis in Form eines Reports bewegt sich wie eine Dokumentation zu Fuß durch ein wüstes Grenzgebiet extremer Lebensumstände. Dann hebt sich die Kamera in den Himmel, folgt Prothesen, die an Fallschirmen zur Erde segeln. Ein ganzes Heer amputierter Männer humpelt ihnen entgegen und die schreckliche Schönheit dieser furchtbaren Szene wird das Gedächtnis nie verlassen. Makhmalbafs Weg nach Kandahar ist reich von solch einfachen Bildern, die nachdrücklicher wirken als alle Appelle von Anti-Minen-Kommissionen. Die Jungen in der Koran-Schule, die nährt und bildet, halten das neue Schwert in Form einer Kalaschnikow in der Hand. "Waffen sind das einzig moderne in Afghanistan" wird später ein Arzt sagen, der hauptsächlich Mangelerscheinungen diagnostizieren muss. Die ästhetischen Vorbehalte eines Mannes gegen die bessere Prothese für seine Frau erschrecken ebenso wie der Fatalismus angesichts eines Raubüberfalls. Überall herrscht Krieg. Lügner, Betrüger und Räuber beherrschen die Szene. Wollte Makhmalbaf einen Anti-Taliban-Exportschlager drehen, er hätte es nicht besser machen können. Doch diesem Bericht in Form einer poetischen Klage kann man wohl noch eher glauben als den üblichen CNN-Videos.


Eine Kritik von Günter H. Jekubzik

realisiert durch
Ein Service von
arena internet service
FILMtabs-Logo