La Stanza del figlio

I 2001 (La Stanza del figlio) Regie und Buch Moretti, 98 Min.

Warnung: Diese Kritik ist höchst subjektiv. Über Nanni Moretti kann ich wirklich nicht unberührt schreiben. Da dreht sich sein neuer Film um eine Familientragödie, aber ich bin schon vor der Tragödie völlig aufgelöst, von diesem harmonischen Beieinander, dem wachen Austausch der Eltern und der zwei Kinder, geistig und körperlich. Vom wunderbaren Familienleben, ob sie während einer Autofahrt falsch im Chor singen, beim Abendessen gleichberechtigt über ernste Probleme diskutieren. Und von dieser real-fiktionalen Figur Nanni Morettis, der in seinen Filmen ("Liebes Tagebuch", "Aprile"), Rollen und anderen Äußerungen eigenwillig klug das moderne Leben kommentiert. Dafür verdient er eigentlich jedes Jahr eine Goldene Palme von Cannes.

Diesmal spielt Moretti den Familienvater und Psychoanalytiker Giovanni. Spontan begeistert läuft er nach dem Morgenjogging Baghwan-Jüngern hinterher, scherzt mit Frau und Kindern, führt ein gutes Leben. Ein Problem taucht auf, als Sohn Andrea angeblich etwas in der Schule gestohlen hat. Während Giovannis Frau und die Tochter scherzend über den Vorfall hinweggehen, nagt im Vater ein Zweifel. Kurz geht er ins "Zimmer des Sohnes" (so der italienische Titel), schnüffelt aber dort nicht herum. An einem Sonntag geschieht es: Giovanni muss zu einem selbstmordgefährdeten Patienten und Andrea stirbt beim Tauchen im Meer.

Die einst so harmonische Familie verliert sich nun in Leere und Schmerz. Ein wieder-holen gemeinsamer Momente geht mit dem CD-Spieler, aber nicht im Leben. Der frohgelaunte Arzt wird zum Pessimisten, vernachlässigt seine Patienten und kann kaum den Hass gegenüber Oscar unterdrücken, dessen Hilferuf am Schicksalstag ein gemeinsames Joggen mit dem Sohn verhinderte. Oder liegt die Schuld doch bei Giovanni, dessen Wunsch nach gemeinsamen Aktionen mit dem Sohn zu einer tragischen Terminverschiebung führte?
Giovannis altes Leben, ja, die ganze Familie fällt auseinander. Der Brief einer unbekannten Freundin von Andrea verstärkt erst den wahnsinnigen Schmerz. Als das Mädchen aus einer anderen Stadt schließlich vorbei kommt, geschieht etwas: Alle nehmen sich der Fremden an, deren Herz einst Andrea gehörte. Zusammen fahren sie die Tramperin zur Grenze nach Frankreich. Die Kamera fährt in den letzten, sonnigen Bilder mit dem jungen Mädchen weiter, wir lassen die Familie Giovannis verloren am Strand zurück.

Der italienische Regisseur, Schauspieler, Kinobetreiber und -Enthusiast Nanni Moretti erzählt diesmal nicht mehr völlig persönlich in Form eines Filmtagebuchs ("Aprile"). Die einfache Geschichte packt durch die Nähe zu den Menschen auf der Leinwand, amüsiert durch reflektierende Episoden mit Giovannis Patienten und berührt mit der sanften Musik von Nicola Piovani. Wie Egoyans "Das süße Jenseits" geht es um Abschied, unfassbaren Schmerz, Trauer. Mit einer deutlichen Absage an den katholischen Trost steht selbst der Fachmann für Menschen und Gefühle hilflos da. Der junge Vater Moretti jedoch meistert die Darstellung einer menschlichen Extremsituation in allen Nuancen ohne einen Misston. "La stanza del figlio" ist bewegend, wie es der ganze Hollywood-Kram trotz des enormen Aufwandes nie sein wird. Und zwischendurch bleibt immer noch Raum für die eigenwilligen Ansichten Morettis, seine Lebensphilosophien, seine Gesellschaftspolitik.

Ein scheinbar einfacher Film, der durch sein unauffälliges Gelingen Morettis feines Gespür in der Darstellung von Menschen und ihren Gefühlen nicht aufdrängt. "La stanza del figlio" und Moretti verdienen sicher die Goldene Palme. Noch mehr möchte man ihnen die Herzen möglichst vieler Zuschauer wünschen.


Eine Kritik von Günter H. Jekubzik

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