Ridicule

Fr 1996 (Ridicule) Regie Patrice Leconte, 102 Min.

Jetzt dürfen wir ihn endlich sehen. Die Chance auf einen"Academy Award" verzögerte den Start von "Ridicule" seit Augustletzten Jahres. Doch das Warten des französischen Verleihszahlte sich nicht aus: Es gab keinen Auslands-Oscar für"Ridicule".

Auch eine andere Geschichte ist spannender als der Film selbst:Die deutschen Texte sollten ausnahmsweise besonders gut daherkommen.So engagierte man Hans Magnus Enzensberger, Autor, Herausgeber undÜbersetzer. Doch Enzensbergers Qualifikation als herausragenderMann der Schrift wurde dem Projekt fast zum Verhängnis: Als dieÜbersetzung der Mono- und Dialoge vollendet auf dem Weg zumSynchronisationsstudio war, verunglückte das Auto, die einzigeKopie verbrannte. Wie gesagt, Enzensberger ist ein Mann der Schrift,nicht des Computers oder der Sicherungskopie auf Diskette. Dienachfolgenden Streitigkeiten sind mittlerweile beendet, Enzensbergersoll die zweite Version tatsächlich auch auf elektromagnetischemWege gesichert haben.

Die soziale Verantwortung treibt den Landadeligen Ponceludon deMalavoy (Charles Berling) 1780 nach Versailles, an den Hof KönigLudwigs XVI. Das Sumpffieber wütet auf Ponceludons Grund, rafftseine Bauern dahin und beschert der Gegend bittere Armut. Allerdingsherrscht in den Sälen von Versailles eine Pest, die ebensotödlich sein kann wie die der Sümpfe. Das gesellschaftlicheParkett ist glatt, geschliffene Sprache und scharfer Wortwitz stellenalltägliche Waffen dar. Ein gutes Bonmot kann bis zum Königführen. Ernsthafte Konversation, Themen von "draußen"bedeuten den gesellschaftlichen Tod - für einige gleichbedeutendmit dem leiblichen.

Ponceludon ist ein "geborener Höfling" - genauer erlebte erVersailles nur bei seiner Geburt, doch sein Geist verblüfft undschlägt alle, die sich über den Bauern amüsierenwollen. Vielleicht sind nicht nur die Gesichter und Körper mitPuder vernebelt, scheinbar ist auch der Geist des höfischenAdels angestaubt, daß ein Neuling so auftrumpfen kann.

Mit an den Start im spottlichen Wettkampf um die Gunst desKönigs gehen der Abbe von Vilecourt und ein alter, feisterVerlierer. An den parallelen "Karrieren" zeigen sich dieMöglichkeiten und Risiken des sprücheklopfenden Kriechens:Der Abbe erreicht die Spitze der Gunst, spiegelt sich im Erfolg, umsich dann mit einer falschen Bemerkung Zugrunderichten. Der Abgangeines verspotteten, erniedrigten Konkurrenten endet viel frühertödlich. Jeder bei Hofe kennt den gleichen Traum: Der Henkersteht über einem, nur ein scharfes Bonmot kann retten!

Der Gegensatz zwischen höfischem und einfachem, aufrechtenAdel wird durch "Ridicule" lebendig erfahrbar. Das Prinzip derVernunft, der Wissenschaft und Aufklärung vertritt Mathilde(Judith Godréche), die selbstbewußte und eigenwilligeLiebe Ponceludons. Die große Intrigantin Madame de Blayac(Fanny Ardant), darf den jungen Fremden verführen und nachheretwas Reue zeigen.

Daß Leconte bei solchem Sujet nicht die großenGefühle von "Der Mann der Friseuse", "Die Verlobung des MonsieurHire" oder "DasParfüm von Yvonne" auffährt, liegt im Kern dieserGesellschaft. Die gepuderten Adeligen zeigen ein Verhalten, daßmit spitzem Wort und Schauspiel der Lächerlichkeit anheimgestellt wird. (Denn wir sind schließlich alle Erben derBürger, die damals den Adel wegen dieser Eigenschaften aus ihrenStänden warfen.) Zu inneren Verständnis eines sozialenGefüges trägt "Ridicule" allerdings weniger bei alsähnliche Filme wie "Valmont" oder "GefährlicheLiebschaften". Da muß wieder zur soziologischen Fachliteraturvon Norbert Elias gegriffen werden.

Die Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft schaute wiederbesonders genau hin und erkannte, daß ein urinierender Peniszwölfjährige Mädchen schädigen könnte,deshalb soll der Film erst ab 16 Jahre freigegeben werden - undfür Jungens ab 12 wie ein Verleihvertreter scherzhaft meinte.

Ach ja, und was sagen die Texte? Sie zeugen von "esprit" - ohnedaß allerdings die meisterliche Hand eines Enzensberger zuentdecken wäre. Viel Lärm um nichts Besonderes.


Eine Kritik von Günter H.Jekubzik

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