Wolfgang Petersen/Ulrich Greiwe: Ich liebe diegroßen Geschichten

VomTatort bis nach Hollywood. (Kiepenheuer & Witsch. 256 Seiten, DM39,80)

Rechtzeitig vor dem Start von"Air Force One" imOktober erschien eine Mischung aus Biographie und Interviewband, vondeutscher Filmgeschichte und Hollywoodklatsch rund um denerfolgreichen Regisseur Wolfgang Petersen. Mittlerweile ist der inEmden geborene Petersen einer von nur circa zwölf Regisseuren,die in Hollywood das Recht des "Final Cut" genießen. Esermöglicht weitgehend die künstlerische Kontrolle überden Film, auch gegen Einwände des Studios.

Nachdem das erste Kapitel - nicht mehr als ein schwachesPresseheft zu "Air ForceOne" - überwunden ist, lassen sich die dreihundert Seitenschnell überfliegen. Nachher ist zumindest der Werdegang desleidenschaftlichen Regisseurs Petersen präsent: Vom kurzenBühnenintermezzo über den allerersten Jahrgang der DFFB1966, die Jahre beim Fernsehen mit enorm erfolgreichen Tatorten, diedeutschen Kinofilme "Das Boot" oder "Die unendliche Geschichte" unddann die amerikanischen Großproduktionen "Tod im Spiegel","Die zweite Chance"sowie"Outbreak".

Petersen und sein Interviewer Ulrich Greiwe kennen sich seit 29Jahren. Sie duzen einander und warfen sich freundschaftlich dieGesprächsthemen zu. Der Band ahmt unübersehbar denKlassiker "Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht?" von FrancoisTruffaut nach. Der schreibende Fan und sein Regisseuridol treffensich im Gespräch, in Anteilnahme, vielleicht in Bewunderung,aber bei Petersen/Greiwe nicht in der cineastischen Leidenschaft. Esgibt nur ganz wenige filmtechnische Fragen, wie die nach der langenKamerafahrt in "Das Boot". Zeitweise erinnert das Gespräch ankinobegeisterte Jungs, die von großen Stars und dem tollenHollywood schwärmen. Petersen beteiligt sich an diesen Partienwie an den anderen. Der große Organisator millionenschwererFilme nahm das Gespräch nicht in die Hand.

Daß Petersen schon vor Jahrzehnten von sich reden machte,belegt besonders gut das Beispiel "Die Konsequenz" (1977). DieLiebesgeschichte eines zu dreißig Monaten Gefängnisverurteilten Schauspielers (Jürgen Prochnow) zum16-jährigen Sohn des Gefängnisaufsehers wollte derBayrische Rundfunk seinen Zuschauern nicht zumuten. Die großeöffentliche Diskussion führte zu einer Kinoverwertung desFilms. Der ebenso aufschreckende WDR-Fernsehfilm "Smog" (AutorWolfgang Menge), der teilweise die Liveberichterstattung übereine Umweltkatastrophe nachahmte, wird nun als Vorbereitung zurHollywoodarbeit"Outbreak"gedeutet. Generell sieht Petersen seine Fernsehzeit bestimmt vom"mutigen WDR-Geist von (Günter) Rohrbach und (Werner)Höfer". In dieser Zeit entstand auch 1974 der Zweiteiler "Stadtim Tal" in Monschau.

Es war die Zeit der Tatort-Straßenfeger: Neben dem"Reifezeugnis" (1976) für und mit Nastassja Kinski schlug auch"Nachtfrost" (1972) ein, mit einer Sehbeteiligung von damals nochmöglichen 76 Prozent. Dabei sagt Petersen, er hätte "imGrunde immer Kinofilme gedreht", es abgelehnt, sich "mit einerFernsehdramaturgie oder Fernsehästhetik zu befassen".

Das Buch holpert über die Themen, im Großen wie imKleinen. Privates über Petersens zwei Ehen, Informativesüber die Arbeit in Hollywood oder die bedeutende Rolle der gutenAgenturen. Mal wird eine systematische Annäherung Petersens aneine Hollywoodkarriere skizziert, dann taucht nach "Enemy Mine -Geliebter Feind" der entgegengesetzte Wunsch auf, in Deutschland zubleiben. Auch die Dramaturgie, die Petersen nach dem enormen Erfolgvon "Die zweite Chance"ganz oben sieht, wird unschlüssig, als der Regisseur für"Outbreak"wieder "alles auf eine Karte" setzen muß. Doch schnell wecktdas intensive Schaffen eines Filmoholic und sein umfangreiches Werkwieder Interesse: Der abenteuerliche Wettlauf zweier Filmproduktionenmit dem gleichen Thema und Einsätzen von jeweils mehr als 60Millionen Dollar ist klassischer Hollywood-Wahnsinn. Dann rutschtGreiwe in die Klatschspalten der Yellowpress ab, wenn ererzählen läßt, wie unflätig sich Dustin Hoffmannbei den Dreharbeiten zu"Outbreak"gegenüber Rene Russo äußerte. Zwischendurch einigeAnekdoten. Daß der Neuling in Hollywood bald ArnoldSchwarzeneggers Haus in Santa Monica mietet, kann nicht verschwiegenwerden. Die beste kleine Geschichte: 1987, beim endgültigenAufbruch in die USA, fuhr ein junger, blonder Taxifahrer Petersen. Erhieß Sönke Wortmann und erzählte, daß auch erRegisseur werden wolle.

Das zwölfte Kapitel schließt dann mit krudenMedientheorien, ein Rundumschlag, an dem nur die Seltsamkeit derGedankengänge interessieren kann: "Denn mehr als andereKünste dies vermögen, sind wir Teil einer unendlichenGeschichte des Kinos." Und weshalb ist Petersen "als Deutscher" inHollywood erfolgreich? "Hollywoodfilme haben inzwischenGrößenordnungen erreicht, diegeneralstabsmäßiges Denken erfordern."

Die Unzulänglichkeiten des Biographen ärgern zwar, sieverstellen jedoch nicht den Blick auf eine außerordentlicheKarriere.

Eine der Besonderheiten: Petersen arbeitet weiterhin mit denKollegen der letzten Jahrzehnte. Jürgen Prochnow, eineEntdeckung des Regisseurs, kann in"Air Force One" einennationalistischen Diktator spielen. Petersens langjährigerCutter Hannes Nickel nahm noch bis 1989, bis "Tod im Spiegel" amErfolg teil.

Die Schilderung der frühen Jahre Petersens in Deutschlandweckt den Wunsch, er sollte vielleicht mal etwas über seineJugendzeit und die anvertraute Umgebung drehen. Da verbergen sich amRande der Erfolgsbiographie auch tragische Geschichten. Wie die desStudienfreundes und langjährigen Kameramannes Jörg MichaelBaldenius, der mit Alkoholproblemen nicht mehr mit ins "Boot" kam.Nach 25 Jahren Freundschaft erfolgte eine absolute Trennung."Petersens Eloquenz und Konsequenz waren so übermächtig,daß sich Michael fortan vom Rollenverständnis her als derzweite Mann gesehen hat."


Eine Kritik von Günter H.Jekubzik

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